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Die geheime Stunde

Die geheime Stunde

Titel: Die geheime Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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Motorboot eines Nachbarn ›ausgeliehen‹, der mit einem gerichtlichen Nachspiel drohte. Felicity war mir etwas schuldig. Als ich die Nummer anrief, die Sie auf Ihrer Visitenkarte notiert hatten, und mich erkundigte, ob Sie im Gasthof wohnen, sagte sie mir, dass Sie im ›White Sails‹-Zimmer untergebracht sind. Ich bin einfach raufgegangen.«
    »Sie muss große Stücke auf Sie halten, als Anwalt, meine ich.«
    »Ich habe ihr eingeschärft, Ihre Zimmernummer niemandem sonst zu verraten«, erwiderte John, über ihre Bemerkung hinweggehend, und dachte, wie verwundbar Frauen – eigentlich alle Menschen – in dieser Welt waren. Er beugte sich zu ihr herab, aus dem gleichermaßen unverhofften Gefühl, sie beschützen und ihr nahe sein zu wollen.
    »Sind Sie das?«, fragte Kate. »Ein guter Anwalt?«
    Auf dem Felsen stehend, warm eingepackt gegen die Kälte, spürte John, wie sich sein Magen verkrampfte. Sein Herz sank. War es das? Brauchte Kate einen guten Strafverteidiger? John betrachtete sinnend ihre schmale Gestalt, die großen Augen, die sommersprossige Nase, wohl wissend, dass jeder Mensch fähig war, Schuld auf sich zu laden.
    »Ja, ich denke schon«, sagte er; sein Rücken versteifte sich, seine Stimme wurde härter.
    Sie nickte, schien eine Weile nachzudenken.
    »Möchten Sie, dass ich Sie anwaltschaftlich vertrete? Sind Sie deshalb zu mir nach Hause gekommen? Um mich zu fragen, ob ich Ihren Fall übernehme?«
    Kate antwortete nicht gleich. John beobachtete sie aufmerksam. Manchmal rückten die Leute, die einen Strafverteidiger brauchten, nicht sofort mit der Wahrheit heraus. Sie behaupteten, zu Unrecht verdächtigt worden zu sein oder die Tat nicht vorsätzlich begangen zu haben. Und wenn doch, hatten sie nicht damit gerechnet, erwischt zu werden.
    Nur wenige hielten sich für kriminell, selbst wenn sie auf frischer Tat ertappt wurden. Diese Bezeichnung traf nicht auf sie zu, wie sie meinten. Ungeachtet des Delikts heiligte der Zweck letztlich die Mittel – jemand hatte sie schändlich hintergangen, betrogen, ausgetrickst, verleumdet oder ins Verderben gerissen. An Rechtfertigungen mangelte es nie. Also wartete John, blickte Kate an und fragte sich, mit was für einer Geschichte sie aufwarten würde.
    »Das ist nicht der Grund.« Kates Stimme war plötzlich weich. »Ich brauche keinen Rechtsbeistand.«
    »Warum interessiert es Sie dann, ob ich ein guter Anwalt bin? Was hat Sie bewogen, mich heute Morgen zu Hause aufzusuchen?«
    Es war inzwischen stockfinster, doch überall standen Sterne am Himmel, bis zum Horizont, das Firmament umschloss John und Kate wie eine umgestülpte Schüssel. Die Seeluft war salzig; vermutlich brannte sie in Kates Augen, denn sie wischte plötzlich eine Träne weg. Immer neue Tränen füllten ihre Augen. John starrte sie an, sein Herz begann zu hämmern.
    »Ich habe Sie aufgesucht, weil sie Greg Merrills Anwalt sind.«
    »Merrill? Was hat der damit zu tun?«
    Kate schluckte. Die Hunde kamen aus dem Gebüsch auf den Klippen angerannt, bettelten um weitere Leckerbissen. Sie schien es nicht zu bemerken. Bonnie sprang hoch, stupste mit der Schnauze ihre Hand an, während Brainer geduldig Platz machte und wartete, dass sie ihnen etwas anbot. Kate stand reglos da, während die Tränen ungehemmt über ihre Wangen liefen, dann drehte sie sich um und sah John offen in die Augen. Ihre Miene war von Kummer überschattet, als wüsste sie, dass sie bereits verloren hatte, wonach sie suchte, doch dann räusperte sie sich.
    »Ich glaube, er hat meine Schwester umgebracht«, flüsterte sie.

[home]
    5
    B lind vor Tränen ließ sich Kate von John O’Rourke zu seinem Wagen führen. Es war ein Volvo-Kombi, und kaum hatte er die Tür geöffnet, stürmten die beiden Hunde auch schon hinein. Brainer sprang auf die Rückbank, und Bonnie folgte ihm nach. Sie nahmen einträchtig nebeneinander Platz und warteten mit heraushängenden Zungen darauf, dass die Spazierfahrt losging.
    John ließ den Motor an. Erst als Kate spürte, dass es warm im Auto wurde, merkte sie, wie kalt ihr war. Wenn sie an Willa dachte, und was ihr widerfahren sein könnte, wurde ihr jedes Mal eiskalt. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen, war aber der Ansicht, wenn ihre Schwester Wärme entbehren musste, sei das für sie gleichermaßen recht und billig. Die Heizung, noch nicht richtig abgekühlt nach Johns Fahrt zum East Wind, arbeitete auf Hochtouren, und Kate empfand die Wärme, gegen ihren Willen, umgehend als

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