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Die geheime Stunde

Die geheime Stunde

Titel: Die geheime Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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anziehen?«
    »Mags, die trägst du jeden Tag in der Schule.« Teddys Kehle brannte. »Die anderen kennen sie doch schon. Aber wenn du willst, bitte. Klar kannst du …«
    Er nahm seine Jacke und seine Sporttasche. Seine Büchertasche lehnte am Tisch in der Diele, und als er sich bückte, um sie aufzuheben, stieß er mit Brainer zusammen, der gegen den Tisch prallte; eine Flut von Papieren ergoss sich auf den Fußboden.
    Auf dem Tisch lagen gewöhnlich Dinge, die sich in den Taschen seines Vaters befunden hatten: Er leerte sie jeden Abend aus, wo immer er gerade war. Schlüssel, Brieftasche, Visitenkarten, Zettel, die er im Laufe des Tages aufgehoben hatte. Teddys Mutter hatte die Durchsicht der Fundstücke aus den Taschen seines Vaters einmal als »Archäologie« bezeichnet. Was bedeuten sollte, dass sie beim Stöbern in den sonst verborgenen Schätzen erfuhr, was er den ganzen Tag gemacht hatte.
    Als Teddy die Papiere auf den Tisch zurücklegte, bemerkte er das Foto einer Frau. Lächelnd, den Kopf anmutig geneigt, erinnerte sie ihn an jemanden. Weit geöffnete Augen, glatte braune Haare …
Augen in der Farbe von Flusssteinen,
dachte Teddy, und dann fiel es ihm ein: Kate.
    Kate, seine Freundin, die Frau, die sich um Maggie und Brainer gekümmert hatte. Das Foto zeigte sie – eine jüngere Kate. Vor Jahren aufgenommen? Oder konnte das jemand anders sein … ihre Tochter vielleicht?
    Plötzlich dämmerte es ihm: ihre Schwester. Kates jüngere Schwester, ihre »Maggie«, der Mensch, den Kate Harris am meisten liebte. Im gleichen Stapel fand er einen Zettel, auf dem »East Wind Inn« geschrieben stand. Teddy wusste sofort, was es damit auf sich hatte – warum hätte sich sein Vater sonst für das East Wind interessiert? Kate war dort abgestiegen. Er dachte an ihre sanfte Stimme, ihren leichten Südstaaten-Akzent, und wie sie ihm geholfen hatte.
    Obwohl der Gasthof nicht direkt auf seinem Schulweg lag, war es kein großer Umweg. Teddy warf einen Blick auf seine Uhr. Es war noch früh, erst viertel nach sieben. Er wollte sie nicht aufwecken, aber er hatte eine andere Idee. Er konnte ihr eine Nachricht hinterlassen …
    Vielleicht würde doch jemand bei seinem Spiel zuschauen, auch wenn sein Vater und sein Großvater nicht kommen konnten.

[home]
    8
    D ie Menge raste. Eltern säumten das Fußballfeld, feuerten die Mannschaften aus voller Kehle an. Klassenkameraden sprangen auf und ab. Die Freundinnen der Spieler hielten sich die Augen zu. Die Trainer brüllten ihre Anweisungen. Die Cheerleader hatten sich mit ausgehöhlten Kürbisköpfen und spitzen Hexenhüten verkleidet. Dunkle Wolken brauten sich am Himmel zusammen, drohten Regen oder Schnee an. Die J. V.-Mannschaften lieferten sich eine heiße Schlacht, und es stand 1:1, unentschieden.
    Kate zog ihre grüne Wolljacke enger um sich und sah gebannt zu, wie Teddy über die ganze Länge des Platzes rannte. Sicher im Lauf, befand sich der Ball in seinem Besitz, und er fädelte sich geschickt durch die Mauer der Riverdale-Spieler, die ihn aufzuhalten versuchten. Obwohl sie sich mit den Regeln nicht auskannte, brüllte sie lauter als alle anderen.
    »Lauf, Teddy!«, schrie sie, Bonnie an der roten Leine haltend.
    Die Menge fiel ein, schrie seinen Namen.
    »Du schaffst es, O’Rourke! Lauf, lauf, lauf!«
    Teddy schoss ein Tor, und Shoreline ging mit 2:1 in Führung. Kate streckte die geballte Faust in die Luft, jubilierte. Als sie mit Bonnie von ihrem Morgenspaziergang auf den Klippen zurückgekehrt war, hatte sie einen Zettel mit Teddys Unterschrift unter ihrem Scheibenwischer gefunden, eine Einladung, sich das Spiel anzuschauen, falls sie »nichts Besseres« vorhabe. Eigentlich hatte sie ihren Aufenthalt im Gasthof heute beenden wollen, um die Küste entlang nach Rhode Island zu fahren und die Suche nach Willa auszuweiten. Doch Teddys Bitte hatte sie derart berührt, dass sie beschloss, ihre Abreise zu verschieben.
    »Etwas
Besseres
vorhaben?«, hatte sie gerufen, als Teddy an ihr vorbei auf das Feld lief. »Das ist das beste Angebot, das ich bekommen habe, seit ich in Connecticut bin!«
    Während sie noch über sein Tor jubelte, spürte sie, wie jemand sie am Arm antippte. Bonnie stieß ein kurzes, freundliches Bellen aus. Eine Frau stand vor ihr, schlank und blond, in einem hautengen Overall, der wie ein Skianzug aussah. Ihre Lippen waren voll, glänzten vom Lipgloss, und sie trug Lidschatten in den modischen Schattierungen Beige und Schiefergrau. Der einzige

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