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Die geheime Stunde

Die geheime Stunde

Titel: Die geheime Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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Bruder ist bei einem Freund. Er kommt erst zum Abendessen zurück, und danach geht er zu einer Halloween-Party.«
    »Dann eben mit dir alleine«, sagte Damaris, ohne sich aus dem Takt bringen zu lassen, und fuhr fort, wie verrückt auf die Tasten einzuhämmern. »Das ist doch auch was.«
    »Heute Abend bei dem Umzug verkleide ich mich als Amelia Earhart«, vertraute Maggie ihr an.
    »Ausgezeichnete Wahl«, erwiderte Damaris, aber Maggie hatte das Gefühl, ihre Reaktion wäre die gleiche gewesen, wenn sie gesagt hätte, sie würde sich als Postbotin verkleiden, oder als Elaine von Elaine’s Clip and Cut, oder als Damaris.
    Maggie versuchte, die Enttäuschung mit einem Achselzucken abzutun, und begab sich auf einen Streifzug durch die Gänge der Kanzlei. Samstags ging es ruhiger zu als an den Werktagen, aber die Kanzlei war keineswegs verwaist. Anwälte beugten sich über ihre Schreibtische, die Ärmel hochgekrempelt, und lasen, lasen, lasen.
    Die Bibliothek war ein beliebter Aufenthaltsort. Auch hier wurde allenthalben gelesen, in den Lesenischen, an den langen Tischen und an den Computer-Bildschirmen. Die meisten der hier Anwesenden waren frisch gebackene Anwälte, die gerade ihr Studium abgeschlossen hatten und den assoziierten Mitgliedern der Kanzlei, wie ihrem Vater, zuarbeiteten.
    Während sie umherschlenderte, hielt Maggie unwillkürlich nach Zubehör für ihr Kostüm Ausschau. Das Kostüm selbst musste noch warten; ihr Vater hatte versprochen, mit ihr einkaufen zu gehen, sobald er fertig war. Aber Maggie war erfinderisch und hatte Zeit, konnte genauso gut gleich ihre Augen offen halten.
    Sie wusste schon lange, wer Amelia Earhart war, aber gestern Abend hatte sie im Internet nachgeschaut und Bilder von einer hübschen jungen Frau entdeckt, die eine Lederjacke mit einem weißen Schal und eine kleine Fliegerkappe trug. Kate hatte gesagt, Amelia sei mutig gewesen, aber die Fotos zeigten, dass sie auch glücklich, neugierig auf das Leben und abenteuerlustig gewesen war: Eigenschaften, die Maggie ebenfalls anstrebte.
    Jede Eigenschaft brauchte ein Symbol.
    Als Symbol für das Glück wollte Maggie die goldene Kolibribrosche ihrer Mutter tragen. Ein Geschenk ihres Vaters zum fünften Hochzeitstag, eine Erinnerung an die Schnelligkeit, Tüchtigkeit und die Vorliebe ihrer Mutter für Blumen mit roten Blüten. Der Kolibri hatte Smaragdaugen, und die Brosche war Maggies kostbarster Besitz, seit sie diese nach dem Tod ihrer Mutter geerbt hatte.
    Als Symbol für die Neugierde auf das Leben würde sie sich einen Ausweis ausleihen, der den Zutritt zur Bibliothek der Kanzlei ermöglichte. Er stand für Lesen, Forschen und die Suche nach Antworten. Hatte Amelia nicht genau das getan bei ihrem Flug über den Atlantik?
    Was die Abenteuerlust anging, wollte Maggie ein Foto von Teddy und ihr auf dem höchsten Punkt der größten
Wild Expedition
-Achterbahn in die Tasche stecken – von ihrem Vater aufgenommen, genau in dem Moment, als der Wagen in die Tiefe stürzte. Maggies Magen war immer noch aufgewühlt, wenn sie an den zehn Stockwerke tiefen Fall dachte.
    Blieb nur noch der Mut …
    Dieses Symbol erforderte ein wenig mehr Mühe.
    Maggie war nicht gerade für ihren Mut bekannt. Genau genommen war sie sogar der größte Feigling, den sie kannte. Sie konnte kein Blut sehen – weder ihr eigenes noch das anderer Menschen. Sie hasste es, wenn ihr Vater die Geschwindigkeitsbegrenzung überschritt, obwohl er ein ausgezeichneter Fahrer war. Die meisten Kinder liebten Bambi, aber seit dem Unfall ihrer Mutter geriet sie beim Anblick von Rehen in Panik. Bei jedem lauten Geräusch zuckte sie zusammen. Und wenn sie in der Lage gewesen wäre, die
Wild Expedition
-Achterbahn daran zu hindern, den höchsten Punkt zu erklimmen, hätte sie es getan – auf halber Strecke.
    Während Maggie durch die Anwaltskanzlei schlenderte, hielt sie also die Augen nach etwas offen, womit sie ihren Mut beweisen konnte.
    Viele Dinge waren tabu: Sie kannte und respektierte die Regeln. Ihr Vater hatte ihr erklärt, was es mit der Schweigepflicht auf sich hatte – das Leben und die Rechte seiner Mandanten standen auf dem Spiel, für ihn war das ein und dasselbe. Er hatte gesagt, dass er ihr und Teddy blind vertraue, aber sie müssten ihm trotzdem versprechen, dass alles, was sie sahen oder hörten, in der »Familie« blieb.
    Sie hatten es beide versprochen.
    Die Anwaltskanzlei gab ihr ein Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit. Sie war in einem imposanten

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