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Die geheime Stunde

Die geheime Stunde

Titel: Die geheime Stunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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Aufzeichnung von O’Neills ursprünglichem Anruf, damals im April. Seine Mitarbeiter hatten sich in der von Adam Morgan für Willa gemieteten Wohnung umgesehen und auf einem Block neben dem Telefon Notizen entdeckt, die auf eine unmittelbar bevorstehende Reise nach Neuengland hindeuteten – Handelskammer, Zimmerreservierungen, das hingekritzelte Wort »Newport«, kunstvoll ausgemalt.
    Die Kreditkarten-Abrechnungen hatten ihr Fahrtziel bestätigt, den Radius somit eingeengt und die Suche auf Newport konzentriert. Die Akte enthielt Protokolle der Polizei von Newport, die beide Inhaber des Seven Chimneys Inn, Zimmermädchen und andere Gäste befragt hatte, des Weiteren Aussagen von einem Barmixer im Candy Store und einer Kellnerin am Pier sowie Aufzeichnungen von Kates Telefonaten, die sich mindestens einmal im Monat nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen erkundigt hatte.
    »Das war’s auch schon.«, sagte Viera. »Das ist alles, was wir haben.«
    »Sind Sie sicher? Sonst hat sie niemand gesehen oder mit ihr gesprochen?«
    »Nicht, dass ich wüsste. Ich habe Hinweise aus O’Neills Polizeirevier erhalten, dass sie von hier aus weitergefahren ist … in Richtung Massachusetts, wenn mich nicht alles täuscht.«
    »Sie war auch in Connecticut.«
    »Aha. Nun …«
    »Ich weiß, ich muss mich noch mit der Polizei dort in Verbindung setzen. In Connecticut war ich schon.«
    »Merrill kam offenbar herum. Sie haben ihn dort gefasst. Vielleicht sollten Sie sich an jemanden aus der Gegend wenden.«
    »Habe ich bereits.« Kate sah John O’Rourkes harte Augen vor sich.
    »Tut mir Leid, dass ich Ihnen nicht weiterhelfen konnte«, sagte Joe Viera und stand auf, verabschiedete sie mit einem Händedruck.
    Benommen trat Kate in den kalten Nachmittag hinaus. Sie hatte nichts Neues erfahren, und Enttäuschung ergriff sie. Was tat sie überhaupt hier? Sie hatte unbezahlten Urlaub genommen, um etwas zu suchen, was sie vielleicht niemals finden würde: die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen, das Sesam-öffne-dich, einen vagen Hinweis darauf, was ihrer Schwester zugestoßen sein könnte.
    Das Gespräch hatte nur eines bewirkt: Es hatte Familienerinnerungen heraufbeschworen.
    Als Kinder waren sie mit ihren Eltern in den Norden gefahren, hatten die Strände von Chincoteague mit denen von Rhode Island vergleichen können. Sie hatten im Sheraton Islander gewohnt und die Sommerresidenzen der Superreichen, wie Breakers, Rosecliff und Mrs. Astors Domizil Beechwood besichtigt. Sie waren auf dem schmalen Pfad spazieren gegangen, der über die Klippen führte, hatten an der Küste schnittige Yachten gesehen, die an einer Regatta teilnahmen, und waren Zeugen geworden, wie ein Angler auf den Felsen vor Doris Dukes Anwesen einen riesigen Streifenbarsch an Land zog, der alle Rekorde zu brechen versprach.
    Zu Kates glücklichsten Erinnerungen zählte ein Abendessen am Pier. Sie hatten Austern und Hummersuppe, mit riesigen Hummerstücken gefüllte Seezunge und gebackenen, gefüllten Hummer bestellt. Ihr Vater hatte feierlich verkündet, die Austern seien genauso gut wie in Chincoteague, und Kate und Willa hatten Hummer gegessen, bis sie platzten. Das Salatdressing enthielt kleine Senfkörner, und ihre Mutter war voll des Lobes.
    »Senfsamen ist ein Symbol des Glaubens, der Zuversicht«, hatte sie gesagt. »Man braucht nur ein winziges Samenkorn, damit es wächst und gedeiht. Der Glaube versetzt bekanntlich Berge …«
    Kate ging an den Pier, auf der Suche nach ein wenig Zuversicht und dem Gefühl, dass Willa hier gewesen war.
    Die Empfangsdame wies ihr einen Tisch neben dem Fenster zu. Sie nahm Platz, nahm flüchtig die anderen Tische in Augenschein; sie hätte gerne gewusst, wo ihre Schwester gesessen hatte. Von der Polizei wusste sie, was ihre Schwester an jenem Abend gegessen hatte, und sie bestellte nun das Gleiche: Salat, Austern, gefüllte Seezunge. Alles schmeckte köstlich, und der Ausblick auf den Hafen und die hoch aufragende Newport Bridge war atemberaubend. Innerlich gestärkt, schloss Kate die Augen, und ihr war, als würde sie die Hand ihrer Schwester auf ihrer Schulter spüren, sie flüstern hören: »Such weiter, Katy. Du musst mich finden!«
    »Das werde ich«, gelobte Kate laut.
    Sie saß allein am Tisch, und die Gäste an den Nachbartischen drehten die Köpfe, um zu sehen, mit wem sie sich unterhielt. Vermutlich dachten sie, bei ihr sei eine Schraube locker. Kate hatte unlängst selbst begonnen, an ihrem Verstand zu zweifeln.

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