Die geheime Waffe
Chen.
»Ich wollte, habe es mir aber anders überlegt.« Torsten grinste, denn im Rückspiegel sah er, wie der Wagen zur Villa abbog. Damit gehörten dieser groß gewachsene Kerl mit dem kindlichen Gesicht, der am Steuer gesessen hatte, und das schmale Handtuch neben ihm auch zu Sedersens Leuten. Vielleicht kann Petra etwas mit den Fotos anfangen, dachte er, während er den Renault vor dem kleinen chinesischen Lokal abstellte.
Die Besitzerin und ihre Tochter warteten bereits an der Tür. »Ihnen ist hoffentlich nichts passiert?«, fragte die ältere Frau besorgt.
Torsten schüttelte lachend den Kopf. »Nicht das Geringste !« Er entledigte sich seiner Verkleidung und drückte sie Chen in die Arme. »Hier, mit bestem Dank zurück. Für Sie habe ich auch noch was«, sagte er an die Mutter gewandt und reichte ihr den Zweihunderteuroschein.
Die Frau starrte ihn an wie ein Weltwunder. »Aber wie haben Sie das geschafft?«
»Ich habe in dem Laden drüben einen der großen Bosse getroffen und ihm erklärt, dass seine Leute noch Schulden hätten, da hat er mir diesen Schein gegeben.«
Zum ersten Mal auf dieser Reise war Torsten zufrieden. Er hatte den Feind ausgemacht und konnte seinem Vorgesetzten neue Informationen liefern. Außerdem war es ihm gelungen, die Freischärler zu täuschen und bis in ihr Hauptquartier vorzudringen. Wäre Belgien noch der Staat, der er vor wenigen Jahren gewesen war, würden die Behörden diesem Treiben rasch ein Ende bereiten. Doch inzwischen beherrschten die Schreier die Straße, und kein Beamter wagte es aus Angst um sich und seine Familie, sich gegen diese Flut zu stemmen.
Die Wirtin und ihre Kinder unterhielten sich derweil leise in ihrer Muttersprache. Der Geldschein, den Torsten ihnen gebracht hatte, wog die Summe nicht auf, um die Sedersens
Bande sie bereits geprellt hatte, und auch nicht all die Demütigungen und Beleidigungen. Aber es war ein Zeichen der Hoffnung.
»Herzlichen Dank«, sagte Chens Schwester mit einem schüchternen Lächeln.
»Keine Ursache! Haben Sie übrigens die beiden Portionen Bami Goreng fertig, die ich bestellt habe?«
»Ich bringe sie gleich!« Die junge Frau eilte fort, und als sie zurückkam, drückte sie Torsten eine volle Plastiktüte in die Hand.
»Hier, ich hoffe, es schmeckt Ihnen!«
»Das hoffe ich auch!« Torsten stellte die Tüte auf den Tisch und holte seine Geldbörse heraus. »Wie viel macht das?«
Die ältere Chinesin hob erschrocken beide Arme. »Nein, ist Geschenk!«
»Sie haben uns Mut gemacht. Dafür sind diese zwei Portionen wirklich nicht zu viel.« Die junge Frau sah Torsten bittend an, doch der schüttelte den Kopf.
»Sie haben genug Schwierigkeiten mit diesen Kerlen. Da will ich nicht auch noch was umsonst von Ihnen. Aber wenn Sie sich das Essen nicht bezahlen lassen wollen, ist das hier die Miete für den Wagen, den Sie mir vorhin geliehen haben!«
Torsten zog einen Zwanzigeuroschein hervor und drückte ihn Chen in die Hände. »Wenn du das nächste Mal was zu diesen Kerlen bringen musst, sag ihnen, ihr Chef habe erklärt, sie müssten ihr Essen bezahlen.«
»Wenn ich das sage, bekomme ich höchstens noch mehr Prügel«, antwortete der junge Mann unglücklich.
»Vielleicht auch nicht!« Torsten klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter, nahm die Essenstüte und nickte den beiden Frauen kurz zu. »Ich muss jetzt weiter, sonst verhungert meine Partnerin noch. Auf jeden Fall viel Glück für die Zukunft. Vielleicht klappt es ja, und ich kann irgendwann hier gemütlich mit Freunden essen!« Damit drehte er sich um und ging.
Die drei im Lokal blickten ihm nach, bis er in eine andere Straße abbog, dann schüttelte Chen den Kopf. »Der Mann ist wirklich vollkommen verrückt! Wie ist er nur auf die Idee gekommen, diesen Leuten das Essen zu bringen?«
Seine Schwester rieb sich nachdenklich über die Stirn. »Er hatte einen Grund dafür. Doch das sollten wir so schnell wie möglich vergessen. Für uns war er Vetter Wufan aus Brüssel, der uns heute besucht hat.«
Ihr Bruder wollte etwas entgegnen, doch da läutete das Telefon und rief sie in den normalen Alltag zurück.
SIEBZEHN
L eutnant von Tarow wirkte missmutig, als Torsten das Zimmer betrat. »Da sind Sie ja endlich! Ich wollte schon eine Suchmeldung aufgeben.«
»Fehler! Hier heißt es immer noch du, besonders an der offenen Tür – und falls Madame Leclerc an Türen lauscht, sollten wir auch hier drinnen beim Du bleiben.« Torsten stellte seine Tüte auf den Tisch und
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