Die geheimen Jahre
letzter Zeit war ihm der Verdacht gekommen, daà Fays und seine Differenzen grundlegender waren als die anderer Leute.
Er schob den unangenehmen Gedanken beiseite und führte Nelson aus dem Stall. Der heftige Wind zerzauste sein Haar und zerrte an seinen Kleidern. Ohne sich umzusehen, lieà er Haus und Hof hinter sich und marschierte in Richtung seiner abgelegenen Felder, die einst den Blythes gehört hatten. Er winkte Harry Dockerill zu, der neben einem anderen Pferd auf dem Feld stand.
»Jack hatte nichts dagegen?« fragte Daniel mit Blick auf das andere Pferd.
Harry schüttelte den Kopf. »Er braucht es erst später wieder, wenn die Beerdigung des alten Gutsherrn vorbei ist.«
Die Kirchenglocken läuteten. Jeder Glockenton stand für ein Jahr von Sir William Blythes Leben.
»Gehst du nicht hin?« fragte Daniel.
Harry spannte die beiden Pferde zusammen. »Nein. Ich kann Kirchen nicht ausstehen. Vielleicht gehe ich später kurz vorbei, nur um mein Beileid zu bezeugen.«
»Wie du willst.« Daniel führte die beiden Pferde herum. »Ich geh nicht hin.«
»Du kommst allmählich in Verruf, Gillory«, sagte Harry, »ein Roter zu sein.«
Daniel lächelte, erwiderte aber nichts. In einer kleinen überschaubaren Gemeinde wie Drakesden wurde jede Abweichung von der Norm registriert und kommentiert, und nichts wurde vergessen. Daniel hatte eine Fremde geheiratet, er las Bücher und Zeitungen. Er nahm sonntags nicht am Gottesdienst teil â schlimmer noch, er stand nicht mit unterwürfig gezogener Mütze im Kirchhof, als die Leiche des Gutsherrn in die Kirche getragen wurde.
Harry neckte ihn noch immer. »Mein Vater hat mich neulich abend gefragt, ob du die Burschen zum Streik anstachelst, wenn die Löhne der Landarbeiter weiter gesenkt werden. Ma hat gesagt, sie würde dir das Fell versohlen, wenn du es tätest, denn was sollten wir dann essen?«
Daniel hörte nicht wirklich zu. »Eine Mooreiche«, sagte er abwesend und starrte auf die schwarzen Ãste, die aus der ungepflügten Erde in der Mitte des Felds herausragten.
»Sie läÃt sich einfach nicht rausziehen«, sagte Harry und pfiff.
Am Tag zuvor hatte Daniel den Baum beim Pflügen ausgegraben. Die Fens waren überall mit Mooreichen durchsetzt: alte, im Torf vergrabene Bäume, Ãberreste aus der Vorzeit. Jedes Jahr, wenn sich der Torf senkte, kamen beim Pflügen neue Stümpfe zum Vorschein. Wenn der Baum tief genug in der Erde steckte, lieà er sich kaum bewegen. Daniel wuÃte, daà er wahrscheinlich warten müÃte, bis der Torf allmählich absank, Wind und Wasser die oberste Erdschicht abtrugen und die Natur ihren Schatz von selbst freigab. Bis dahin muÃte er sich mit einem Feld abfinden, das nicht vollständig gepflügt, nicht vollständig bebaut werden konnte. Und gerade jetzt zählte doch jeder Zentimeter Boden.
»WeiÃt du, wie groà sie ist?«
Daniel schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Aber das verdammte Ding hat den Pflug verbogen.«
Den vergangenen Abend hatte er damit verbracht, den Schaden zu reparieren, den der im Boden steckende Eichenstumpf am Pflug angerichtet hatte. Die Arbeit seines Vaters: die verbogenen Pflugscharen geradezuhämmern, und zwar unter groÃer Hitze, um das Metall formbar zu machen.
»Ich hab drum herum gegraben, aber sie steckt tief drin. Ich dachte, ich probierâs mit den Pferden.«
Harry half ihm, Ketten an den hervorstehenden Ãsten des prähistorischen Baums zu befestigen. Als die Ketten angebracht waren, trieben sie die beiden Pferde an. Das Läuten der Kirchenglocken dröhnte in Daniels Kopf und begleitete seine Anstrengungen. Die Ketten waren gespannt, die Pferde legten sich ins Zeug, Schweià glänzte auf ihren Leibern, Mähnen und Schweife flatterten im Wind, aber die Mooreiche bewegte sich keinen Zentimeter.
»Mist«, murmelte Daniel.
Harry wischte sich die Stirn ab und machte mit dem Kopf ein Zeichen in Richtung Kirche. »Muà mich umziehen.«
»Natürlich.« Daniel rang sich ein Lächeln ab. »Ich seh dich später, Harry.«
Er beobachtete, wie Harry Dockerill über das Feld auf das Cottage seiner Mutter zulief. Das Läuten der Glocke klang noch immer über die flachen Felder. Fay wäre jetzt dort, wenn die Träger den Sarg in die Kirche schafften. Dahinter die Blythes, die verwitwete Lady Blythe, die beiden
Weitere Kostenlose Bücher