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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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immer.« Sie mußte sich setzen. Ihr war immer noch schlecht. Plötzlich wurde ihr klar, daß er dies heimlich schon viele Male getan hatte. Immer trug er Hemd, Jacke und Krawatte, selbst an heißesten Tagen. Immer bestand er darauf, daß sie sich im Dunkeln liebten. Damit sie es nicht sähe …
    Ihr Magen wollte sich umkehren, und sie drückte die Augen fest zu. Schließlich nahm sie ihre ganze Kraft zusammen, öffnete sie wieder und fragte: » Warum , Nick?«
    Â»Weil ich mich dann besser fühle.« Seine Stimme klang beiläufig, nüchtern. Der unheimliche Ausdruck in seinen Augen war verschwunden. Er machte ihr angst. Sie wandte den Blick von ihm ab und sah auf die Papierstapel auf Schreibtisch und Fensterbrett. Erst jetzt war sie nahe genug, um zu erkennen, daß es Bilanzen, Briefe und Rechnungen waren. Als sie die Zahlen darauf sah, begann ihr Herz noch schneller zu klopfen.
    Â»Ich hole ein paar Binden«, sagte sie schnell. Sie mußte diesen dunklen, schrecklichen Raum verlassen. Am liebsten hätte sie William aus dem Kinderzimmer geholt und wäre aus dem Haus gelaufen, fort von Drakesden. Zu Hilda oder Antonia – irgendwohin. Um der Krankheit und Düsternis zu entfliehen, die Drakesden Abbey inzwischen fest im Würgegriff zu haben schien. Aber sie widerstand dem Drang, ging statt dessen ins Badezimmer und holte Verbandszeug und Desinfektionsmittel. Wieder im Arbeitszimmer, reinigte sie Nicholas’ Arm und verband ihn sorgfältig. Dann brachte sie ihm ein sauberes Hemd und half ihm, es anziehen. Er sah blaß und erschöpft aus.
    Als sie fertig war, deutete sie auf einen der Stapel mit Rechnungen auf dem Schreibtisch.
    Â»Haben die dir angst gemacht, Nick? War es das?«
    Er nickte. Einen Moment lang kehrte der gehetzte Ausdruck auf seinem Gesicht zurück.
    Er murmelte: »Ich bin in einen furchtbaren Schlamassel geraten. Ich tauge einfach nicht dazu. Gerald hätte das tun sollen …«
    Â»Gerald ist tot, Nick.« Thomasine strich ihm das dunkle Haar aus dem Gesicht. »Aber das heißt nicht, daß du alles allein bewältigen mußt. Ich kann dir helfen.«
    Er sah zu ihr auf. Schließlich schüttelte er den Kopf. »Das wäre nicht recht. Du mußt dich ums Haus kümmern, du mußt Leute bewirten, und dann ist ja auch noch das Baby da …«
    Entschieden erwiderte sie: »Martha kommt sehr gut mit William zurecht – außerdem schläft er immer noch sehr viel. Und was die gesellschaftlichen Verpflichtungen angeht – ich wäre froh, wenn ich in meinem ganzen Leben keine Tee-Einladungen mehr geben müßte. Außerdem glaube ich, wenn du deine Mutter darum bittest, würde sie die Haushaltsführung wieder übernehmen, glaubst du nicht auch?«
    Zögernd nickte er schließlich. Er sah zu ihr auf und blickte sie vertrauensvoll und gehorsam an.
    Â»Ich werde dir helfen, Nick«, meinte sie zuversichtlich. »Du brauchst dich nicht mehr zu verletzen. Es wird alles gut.« Doch sie verfluchte sich, weil sie ihre eigenen Worte schon anzweifelte, kaum daß sie sie ausgesprochen hatte.
    Eine weitere Versöhnung, ein weiterer Neuanfang. Thomasine wußte, daß jeder Zwist die Distanz zwischen ihnen vergrößerte und jede Annäherung schwerer machte. Sie fürchtete, daß sie eines Tages nicht mehr die Kraft dazu hätte, daß sie immer weiter auseinandertreiben würden wie zwei winzige Boote in verschiedenen Strömungen.
    Den nächsten Tag verbrachte sie damit, Geschäftsbücher, Rechnungen und Bankauszüge durchzusehen. Als ihr Finger eine lange Zahlenreihe hinabwanderte, war sie schockiert. Sie schickte eine Nachricht in die Küche und ordnete an, daß zum Mittag- und Abendessen nur ein kalter Imbiß serviert werden sollte, und schrieb eine weitere Nachricht, um auf Mrs. Blatchs wütende Antwort zu reagieren. Am Ende des Tages hatte sie eine ungefähre Vorstellung vom Soll und Haben der Abbey. Sie sah, daß die Güter über mehrere Jahre hinweg heruntergewirtschaftet worden waren, daß selbst jetzt kaum noch Zeit blieb, sie vor dem Zusammenbruch zu retten. Nachts, als der Wind und der Regen endlich nachgelassen hatten und der graue Himmel sich indigoblau verfärbt hatte, teilten sie und Nicholas zum erstenmal nach Williams Geburt wieder das Bett. Sie schliefen nicht miteinander, aber sie hielt ihn in den Armen und versuchte,

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