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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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haben Schwierigkeiten in den Anfangsjahren … und die Geburt eines Babys kann neue Probleme mit sich bringen.«
    Voller Ingrimm dachte Thomasine, daß sie Drakesden schon lange verlassen hätte, wenn William nicht gewesen wäre. Unumwunden platzte sie heraus: »Nicholas ist krank. Er hat sich seit dem Krieg nicht mehr richtig erholt. Anfangs habe ich nicht bemerkt, wie krank er wirklich ist, weil er gelernt hat, es ziemlich gut zu verstecken. Aber jetzt weiß ich es, Tante Hilly, und es macht mir angst .«
    Sie drückte die Augen fest zu. Die Bedienung stellte einen Teller Sandwiches und Kuchen auf den Tisch. Sie hörte Hilda sagen: »O mein Gott .«
    Thomasine öffnete die Augen. Sie wollte kein Mitleid, dachte sie, sie wollte praktische Hilfe, etwas, worauf sich Hilda immer so gut verstanden hatte. Sie sagte: »Ich dachte, falls du immer noch mit deinen Freunden aus dem Invalidenheim in Kontakt stehst … Ich wollte einfach wissen, ob es irgendeine neue Behandlungsmethode gibt. Gleich nach dem Krieg hat Nicholas verschiedene Ärzte aufgesucht, aber sie konnten ihm nicht helfen. Er weigert sich, einen weiteren aufzusuchen – er will nicht einmal zugeben, daß er krank ist. Aber wir können so nicht weitermachen, Tante Hilly – das geht einfach nicht.«
    Ihre Stimme klang tonlos. Sie hatte weder auf Sandwiches noch auf Kuchen Lust und zwang sich, den Tee zu trinken.
    Hilda schwieg eine Weile. Thomasine merkte, daß sie sich ihre Antwort genau überlegte. Ein tiefes Gefühl der Dankbarkeit für ihre Tante überkam sie, die aufgrund eines ziemlich rätselhaften Briefes ihrer Nichte sofort ihre geliebte Schule verlassen und nach Cambridge geeilt war.
    Â»Die Behandlung schwerer Neurasthenie ist immer eine recht langwierige Angelegenheit, Thomasine«, begann Hilda vorsichtig. »Aber ich habe von Ärzten gehört, die ziemlich großen Erfolg hatten. Die Behandlung beinhaltet Gespräche – was dir lächerlich einfach vorkommen mag, doch das ist es natürlich nicht. Nicholas müßte sich an Dinge erinnern, an die er sich nicht erinnern will, über Dinge sprechen, an die zu denken ihm sehr schmerzlich wäre. Diese Methode nennt sich Psychoanalyse und wurde kurz vor dem Krieg von Dr. Freud in Wien entwickelt. Aber ich glaube, es gibt auch in England Psychoanalytiker. Ich könnte ein paar Adressen für dich herausfinden, wenn du möchtest, Thomasine.«
    Zum erstenmal seit dem schrecklichen Vorfall mit William begann sie wieder ein wenig Hoffnung zu schöpfen. Sie nickte.
    Â»Wenn du das tun könntest, Tante Hilly. Das wäre wundervoll.«
    Der Juli war trocken und heiß. Im Dorf mußten die Frauen große Strecken zurücklegen, um Wasser zu holen. Auf Drakesden Abbey stellte Nicholas die große Fontäne ab, aus Angst, daß selbst der neugegrabene tiefe Brunnen austrocknen könnte.
    Nachts schien es im Haus noch heißer, noch stickiger und schwüler zu sein. Oft hörte Lally das Baby schreien und Schritte über den Gang eilen. Einmal, als sie aufstand und die Fenster weit öffnete, sah sie Nicholas in Pyjama und Morgenrock über den Rasen gehen und rätselte, ob er schlafwandelte oder nicht.
    Nackt in ihrem Bett liegend, phantasierte Lally vor sich hin und erträumte sich alles so, wie sie es gern gehabt hätte: Drakesden Abbey ohne den Eindringling Thomasine, aber mit Nicholas, der sie wieder brauchte. Sie sah sich in den Armen von Daniel Gillory oder stellte sich vor, wie sie den Feuerdrachen wiederfand. Dreh die Uhr zurück, mach alles anders . Manchmal, wenn sie schließlich einschlief, glaubte sie, dazu in der Lage zu sein.
    Bei Tag fuhr sie weiterhin über die trockenen, staubigen Wege der Fens. Im großen und ganzen war die Landschaft entsetzlich langweilig. So gut wie nie traf sie jemanden, den sie kannte, und nur äußerst selten begegnete sie einem anderen Fahrzeug. Doch eines Tages, auf der Rückfahrt nach Drakesden, entdeckte sie ein Auto, das halb versteckt hinter einer kleinen Baumgruppe am Straßenrand parkte. Lally drosselte das Tempo und kniff die Augen zusammen. Der Wagen war kleiner, weniger elegant als der Delage, und Lally erkannte, daß es der Morris Oxford von Dr. Lawrence war, der sie während ihrer Krankheit behandelt hatte.
    Die Tür des Morris Oxford ging auf, und Lally wollte gerade hupen und winken, als sie den Fahrer aussteigen sah.

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