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Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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mit der ihres Bruders zusammenfiel. Gelegentlich nahm Thomasine den Wagen, hauptsächlich ging sie zu Fuß. Eines Nachmittags ging Lally ihr nach. In einigem Abstand folgte sie ihrer Schwägerin durch den Obstgarten, den Wald, über die Wiese.
    Als Thomasine den Weg einschlug, der vom Dorf zum Cottage der Gillorys führte, blieb Lally hinter der Wegbiegung stehen. Sie wartete mit pochendem Herzen und beobachtete, wie Thomasine in Richtung von Daniels Haus verschwand. Sehr leise hörte sie ihre Schwägerin Daniels Namen rufen. Es lag eine unbekümmerte Vertrautheit in ihrem Tonfall, als hätte sie diesen Weg schon oft gemacht, diesen Namen schon oft gerufen. Lallys Fingernägel gruben sich in ihre Handfläche, verletzten ihre Haut, und ihre Augen brannten vor Zorn und Eifersucht.
    Im September kamen Belle, Julian, Boy und Ettie nach Drakesden, um Lally abzuholen. Nach dem Mittagessen saßen sie im Salon.
    Â»Wie schön, euch zu sehen«, sagte Nicholas. »Wir waren den ganze Sommer über hier vergraben.«
    Belle kreischte auf: »Nicky, wie entsetzlich! Im August fährt doch jeder weg. Einfach jeder.«
    Â»Thomasine war sehr beschäftigt. Wir sind ziemlich angebunden.« Nicholas’ Stimme klang schmollend. Er saß auf dem Sofa und hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt.
    Â»Jetzt ist Tante Gwendoline weg.« Belle drückte seinen Arm. »Jetzt können wir unartig sein. Los, erzähl uns den Klatsch.«
    Â»Ach … da gibt’s nichts Besonderes. Drakesden ist ein entsetzliches Kaff.«
    Â»Es gibt doch Dr. Lawrence«, sagte Lally verschlagen. »Ein schrecklicher Skandal.«
    Â»Ist er etwa ein Schürzenjäger, altes Haus?« fragte Julian und zündete sich eine Zigarette an.
    Â»Er hat sich … ähm …«, Nicholas’ Augen waren halb geschlossen, »mit der Frau eines hiesigen Farmers abgegeben .«
    Â»Köstlich.«
    Lally fügte hinzu: »Dr. Lawrence hatte einfach eine Menge Sex-Appeal, verstehst du, Belle? Und Mrs. Gillory war furchtbar hübsch. Sie haben es wie die Wilden überall getrieben. In Scheunen … Feldern … auf dem Rücksitz seines Wagens. Seit Jahrhunderten ist etwas so Ungehöriges in Drakesden nicht mehr passiert.«
    Nicholas grinste. »Offensichtlich hat ihm der gehörnte Ehemann vor ein paar Tagen einen Besuch abgestattet. Der arme Dr. Lawrence wird in Bälde ins schöne Schottland zurückkehren.«
    Belle kicherte. Thomasine sah Nicholas scharf an. »Das ist nicht wahr! Woher weißt du das?«
    Â»Von einem der Farmarbeiter. Gillory war schon immer ein aggressiver Mistkerl.«
    Â»Und die untreue Gattin?« fragte Boy. »Ist sie mit dem Verführer nach Gretna Green geflohen oder hat sie der Farmer am Bettpfosten festgebunden?«
    Kurzes Schweigen trat ein. »Weder noch«, antwortete Thomasine schroff. »Sie ist tot. Vor einem Monat hat man sie ertrunken im Deich gefunden.« Thomasine erhob sich. Kühl schweifte ihr Blick von Belle zu Ettie und von ihr zu Boy. »Amüsant, findet ihr nicht auch? Was für ein Spaß .«
    Als sie die Tür hinter sich zuschlug, hörte sie sie noch sagen:
    Â»So eine Spielverderberin  …«
    Â»Was sollen wir machen? Mein Ouija-Brett ist im Auto.«
    Â»Zu leicht … am Abend vielleicht …«
    Â»Mah-Jongg?«
    Â»Verstecken! Früher hatten wir doch solchen Spaß beim Versteckenspielen auf Drakesden.«
    Â»Es gibt so viele Orte, wo man sich verstecken kann.«
    Â»Ich hab mein ganz spezielles Versteck. Da kommt ihr nie drauf.«
    Â»Wie aufregend!«
    Thomasine lief ins Kinderzimmer hinauf. William schlief in seinem Bettchen. Sie beugte sich über ihn und berührte mit dem Zeigefinger seine weiche Wange. Sein dunkles Haar lockte sich auf seiner Stirn, seine Lider waren blaß und durchscheinend und von blauen Adern durchzogen. Sie lächelte Martha an, die in der Ecke des Kinderzimmers strickte, und schloß leise die Tür hinter sich. Sie sehnte sich nach der ungestörten Stille ihres Arbeitszimmers.
    Doch der Raum, den sie als Zufluchtsort gewählt hatte, war nicht ungestört, nicht still. Thomasine hörte das Rascheln von Papier, und als sie den Gang hinunterging, lag ein feiner Hauch von Nelkenduft in der Luft.
    Die Tür zum Arbeitszimmer war angelehnt. Drinnen blätterte Lady Blythe die Papiere auf dem Schreibtisch

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