Die geheimen Jahre
durch, nahm ein Blatt, las es, nahm das nächste. Und dann goà Lady Blythe ganz langsam das Tintenfaà darüber aus, so daà ein dünnes schwarzes Rinnsal all die sorgfältig geschriebenen Worte und Zahlen auslöschte.
Am folgenden Tag verlieà Lally mit den Besuchern Drakesden. Sie saà auf dem Notsitz in Etties Wagen und rief Abschiedsworte. In ihrem Büro schrieb Thomasine die Zahlenreihen neu und kratzte die schwarzen Tintenspuren von ihrem Schreibtisch. Aber sie lieÃen sich nicht entfernen, und sie machte Fehler bei den Zahlen, so daà die Addition am Schluà keinen Sinn ergab. Sie legte die Feder weg, schloà die Augen und preÃte die Fäuste an die Stirn. Was für ein HaÃ, dachte sie und verachtete sich, weil sie am Tag zuvor weggelaufen und Lady Blythe nicht zur Rede gestellt hatte. Doch das Wissen, daà eine solche Konfrontation sinnlos gewesen wäre, war noch schlimmer als ihr SelbsthaÃ.
Sie schlief weder in dieser noch in der nächsten Nacht. Verbissen erledigte sie ihre Arbeit: bestellte rote und schwarze Johannisbeeren bei der Gärtnerei in Soham, wies die Männer an, mit der Säuberung der Gräben zu beginnen. Aber die Freude, die ihr diese Aufgaben früher gemacht hatten, war verschwunden. Immer wenn sie die Augen schloÃ, sah sie den dünnen Tintenstrahl â wie den Schnitt eines Bajonetts. Wie oft in den letzten beiden Jahren hatte sie sich für MiÃgeschicke, Versäumnisse und Fehler die Schuld gegeben? Sie lieà die Jahre, die sie auf Drakesden Abbey verbracht hatte, Revue passieren und entdeckte, daà hinter ihrer vermeintlichen Unfähigkeit und ihren Zweifeln eine Bösartigkeit steckte, die wahrhaft erschreckend war. Eine Bösartigkeit, gegen die sie nichts auszurichten vermochte, denn Nicholasâ Bild zu beschädigen, das er von seiner Mutter hatte, hieÃe das enge Band zu zerstören, das Mutter und Sohn verband. Dieses Band zu zerreiÃen würde Nicholas vernichten.
Als sie Daniel wieder besuchte, stand er im Hof und striegelte sein Pferd.
»Er ist schön.« Thomasine tätschelte Nelsons glänzende Mähne.
»Er ist unmöglich. Scheut beim Anblick einer Maus, und auf seinem guten Auge sieht er immer schlechter.« Liebevoll fütterte ihn Daniel mit Karotten- und Apfelstücken. Thomasine sah ihn eindringlich an. Er sah besser aus als vor drei Wochen, als sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte, fand sie. Abgesehen von den verblassenden Spuren eines blauen Auges. Alexander Lawrence, dachte sie grimmig, muÃte zurückgeschlagen haben.
»Ich bin gekommen, um dich um Rat zu bitten, Daniel.«
Er goà einen Kübel Wasser in den Trog des Pferdes.
»Um Rat? Ob ich dafür die richtige Person bin? Ich hab in letzter Zeit ziemlichen Mist gebaut, nicht?« Seine Stimme klang verbittert.
Sie zuckte zusammen. »Ich meine nicht über ⦠Personen.«
Er trug einen Ballen Stroh in den Stall und schnitt mit dem Messer die Schnur durch, mit der er zusammengebunden war. »In dieser Hinsicht hast du dich besser geschlagen als ich, findest du nicht?«
Sie konnte ihm nicht antworten. Als er schlieÃlich aufsah, steckte er das Messer in seinen Gürtel und sagte: »Zum Teufel. Was rede ich da?« Er stieà mit dem Fuà den Rest des Strohs in den Stall und ging auf sie zu. »Ich habe immer gedacht â¦Â«
»Ich sei glücklich verheiratet?« Sie funkelte ihn an. »Das gleiche habe ich von dir angenommen, Daniel.«
Sie hätte sich die Zunge abbeiÃen können, aber er sah sie nur verständnislos an, rieb sich die Stirn und antwortete: »Ich habâs verdient.« Dann legte er die Arme um sie und drückte sie an sich. »Tut mir leid.«
Sieh an, es geschahen noch Zeichen und Wunder, der empfindliche, arrogante Daniel Gillory entschuldigte sich. Thomasine schloà kurz die Augen und lehnte den Kopf an seine Schulter. Die Umarmung war nicht linkisch, wie Nicholasâ Umarmungen es immer waren: Sie war natürlich, ungezwungen, die Geste eines Mannes, der es gewöhnt war, körperliche Zuneigung zu zeigen. So unbeschwert, daà sie nur den Kopf zu heben, nur um ein biÃchen mehr Trost zu bitten brauchte â¦
Sie löste sich aus seinen Armen und ging aufs Haus zu. »Kann ich uns eine Tasse Tee machen, Daniel? Ich bin schrecklich durstig.« Doch es kostete sie Mühe, einen beiläufigen Tonfall
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