Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
inne.
    Â»Jetzt geht’s besser.« Sie versuchte zu lächeln. »Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, daß ich Rektorin einer kleinen Schule in Yorkshire bin, Daniel. Ich leite die Schule gemeinsam mit einem Herrn, mit Robert. Robert und ich werden in Kürze heiraten.«
    Daniel sah sie verständnislos an. »Meinen Glückwunsch, Miss Harker.«
    Â»Danke, Daniel.« Hilda reichte Daniel seine Tasse und seufzte. »Thomasine hat Nicholas vor einigen Wochen verlassen. Die Ehe war schon seit längerer Zeit in Schwierigkeiten, fürchte ich. Sie hat William mitgenommen und wohnte bei meiner Schwester Antonia in London. Sie schien ganz glücklich dort zu sein. Und dann, vor vierzehn Tagen, ist sie verschwunden. Ganz plötzlich, ohne das Kind. Antonias Dienstmädchen sagte, eine ältere Dame sei gekommen und mit William weggefahren. Aus der Beschreibung des Mädchens schlossen Antonia und ich, daß es sich bei der Dame um Lady Blythe handelte. Thomasine hat keine Nachricht hinterlassen, nichts, um Aufschluß darüber zu geben, wohin sie gegangen ist. Sie hat einfach nur ihre Taschen gepackt und ist fort. Antonia hat mich in Yorkshire angerufen. Wir warteten eine Weile, aber es kam kein Brief, kein Anruf. Also entschloß ich mich letztes Wochenende, nach Drakesden zu fahren.« Hilda schüttelte den Kopf. »Ich habe mit Lady Blythe gesprochen. Sie hat mir nicht erlaubt, Nicholas zu sehen. Sie hat mir nicht geholfen, Daniel – tatsächlich war sie sehr grob. Sie erklärte mir, Thomasine habe zugestimmt, sich von Nicholas scheiden zu lassen und das Sorgerecht für den kleinen Jungen an Nicholas abzutreten.«
    Hilda schienen die Kräfte zu verlassen, sie schien innerlich fast zusammenzubrechen. Das kämpferische Feuer, das immer in ihren Augen geblitzt und das er auch bei ihrer Nichte gesehen hatte, schien erloschen zu sein.
    Â»Trinken Sie Ihren Tee, Miss Harker«, sagte Daniel sanft. »Ich bin sicher, daß alles nicht so schlimm ist, wie es aussieht.«
    Er ging zum Fenster, zog die Stores beiseite und sah hinaus. Der Sprühregen hatte sich zu gelbem Nebel verdichtet. Er schaffte es nicht sofort, Hildas Nachricht in sich aufzunehmen. Sein sonst so analytischer und flinker Geist prüfte das Gehörte, ohne es wirklich zu begreifen.
    Hilda fuhr fort: »Thomasine und ich hatten unsere Schwierigkeiten in den vergangenen Jahren. Ich war mit ihrer Ehe mit Nicholas nie einverstanden. Aber der Gedanke, sie würde sich von ihm scheiden lassen … ihr Kind verlassen … ist mir unbegreiflich. Das kann ich einfach nicht glauben.«
    Daniel konnte es genausowenig. Es paßte nicht zu der Thomasine, die er kannte. Er versuchte, praktisch zu denken. »Sie sagten, ich könnte Ihnen vielleicht helfen, Miss Harker.«
    Â»Ja. Das ist anmaßend von mir, ich weiß. Harry Dockerill hat mir erklärt, Sie würden für eine Zeitung arbeiten, Daniel.«
    Â»Für keine bestimmte Zeitung«, antwortete Daniel. »Bevor ich das kann, muß ich mich noch ziemlich ins Zeug legen. Aber ich habe ein paar Artikel für den Daily Herald geschrieben. Einen Teil einer Serie über die Wahlen.« Die Wahlen finden in etwa einer Woche statt. »Es dürfte ein interessanter Wahlkampf werden«, fügte er hinzu. »Man nennt ihn die ›Tariff-Wahl‹ wegen der Zahlungen von Zöllen auf eingeführte Lebensmittel. Bei der Versammlung, von der ich gerade komme, erklärte Mr. Lloyd George der Menge, daß wir uns nur noch Lachs in Büchsen leisten könnten, falls die Tories wieder gewinnen – alles andere würde besteuert. Außer Weizen natürlich. Wir werden weiterhin ausländischen Weizen importieren.«
    Genau wie er beabsichtigt hatte, ließ die Unruhe in Hildas Augen etwas nach, und Interesse trat an ihre Stelle. Sie trank ihren Tee und aß ein Stück Kuchen.
    Â»Und Sie, Daniel?« fragte sie. »Wäre es sehr taktlos von mir, Sie nach Ihrer Meinung zu fragen?«
    Â»Oh, ich werde Ramsay MacDonald wählen«, antwortete Daniel. »Seit dem Krieg hatten wir alle möglichen Koalitionen von Liberalen und Konservativen, dennoch gibt es noch immer über eine Million Arbeitslose. Ich finde, daß es Zeit ist für einen Wechsel.«
    Â»Da stimme ich Ihnen zu, Daniel«, sagte Hilda entschieden. »Auch ich werde Mr. MacDonald wählen. Mein Vater würde sich im Grab umdrehen,

Weitere Kostenlose Bücher