Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die geheimen Jahre

Titel: Die geheimen Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
Vom Netzwerk:
die Stelle, auf die er deutete. Sie konnte nur Mondlicht und die Vorhänge erkennen, die von der Zugluft leicht bewegt wurden.
    Â»Da ist nichts, Liebling. Nur die dummen alten Vorhänge. Schau.«
    William hob den Kopf. Sein Gesicht war tränenüberströmt, und er zitterte am ganzen Leib. »Es hatte riesige, große Zähne«, stieß er bebend hervor.
    Â»Jetzt ist es weg.« Thomasine drückte ihren Kopf an den seinen und wiegte ihn. »Es kommt nicht mehr wieder.«
    Doch als sie sich umsah, konnte sie sich gut vorstellen, daß William Gespenster gesehen hatte. Das riesige leere Haus knarzte und ächzte im Wind, und kalte Zugluft drang durch die Fenster und Türen. Wenn sie die Vordertür öffnete, würde trockenes Laub hereinwehen und durch die Halle wirbeln. In einigen der ungeheizten Räume wuchsen Schimmelpilze auf den alten Tapeten, und im Dachgeschoß tropfte Wasser durchs Dach, weil die beschädigten Ziegel nicht ausgebessert worden waren. Sie kam sich sehr allein vor und war sich der Verantwortung, die sie übernommen hatte, vollkommen bewußt.
    Â»Wann kommt Papa zurück?« fragte William flüsternd.
    Thomasine brach fast das Herz. Das kleine Gesicht sah vertrauensvoll zu ihr auf und wartete auf eine Antwort.
    Â»Martha hat gesagt, daß Papa eine Weile fortgegangen ist. Kommt er bald zurück?«
    Â»Ach, William.« Ihre Stimme klang ausdruckslos, wie ein Seufzen. Sie stand auf, hielt das Kind aber immer noch fest umschlungen. »Wir gehen in die Küche und machen uns Kakao. Dort ist es wärmer. Und dann reden wir über Papa.«
    Pakete von Marjorie und Tante Hilly trafen ein. Marjories Pakete enthielten gebrauchte Kleider von ihren beiden Söhnen: Pullover, Hemden, kurze Hosen, Schlafanzüge und Stiefel. Als sie die Verpackung öffnete und den Inhalt des braunen Pakets inspizierte, atmete sie auf vor Erleichterung. William wurde jeden Monat ein Stück größer. Sie hatte sich schon vor den Kosten für das nächste Paar Stiefel gefürchtet. In Hildas Paket waren ein warmer Pullover für Thomasine, einige Samentütchen aus dem Gemüsegarten ihrer Schule und ein Postscheck über zwölf Pfund. »Ein verspätetes Geburtstagsgeschenk«, wie der beigefügte Brief erklärte.
    Der Hühnerstall wurde gebaut, die Hennen von den Dockerills geholt und in ihrer neuen Bleibe untergebracht. Als sie zu legen begannen, wurde William mit der Aufgabe betraut, die Eier einzusammeln. Es gefiel ihm, im Stroh nach den warmen braunen Eiern zu suchen und sie vorsichtig in den Korb zu legen.
    Eines Tages kam Annie Dockerill mit einem Sack Heu für den Hühnerstall vorbei. »Harry kann öfter mal ein, zwei Säcke entbehren, Missus. Wenn Sie mal knapp sein sollten, lassen Sie es uns wissen.«
    Â»Thomasine« , sagte sie entschieden. »Sehen Sie mich an, Annie. Mein Haar ist zerzaust, und ich hab eine Hose an. Ich bin nicht mehr Lady Blythe.«
    Â»Sie sehen wirklich verboten aus, Missus – ich meine, Thomasine«, antwortete Annie und lächelte entschuldigend. »Ich brauche ein bißchen Zeit, um mich daran zu gewöhnen. Ich meine – an alles hier.«
    Thomasine sah auf die ordentlichen Reihen von Salatköpfen, die auf einer Seite des Vorgartens wuchsen. »Es ist tatsächlich eine ziemliche Veränderung. Aber warten Sie nur, Annie – bald werden Sie den Ort gar nicht mehr wiedererkennen. Ich dachte mir, wir könnten ein paar Enten im Teich halten. Die Fontäne ist schon seit Jahren kaputt. Ich muß mir nur Harrys Rat wegen der Enten einholen.«
    Plötzlich sagte Annie: »Ah – der kleine Bengel!«
    Thomasine folgte Annies Blick. Auf halbem Weg vom Hühnerstall zurück war William stehengeblieben, ließ ein Ei nach dem anderen auf das Pflaster fallen und sah zu, wie sie auf den Steinen ausliefen.
    Â»Er macht Ihnen alle kaputt …«, sagte Annie und wollte auf den Jungen zulaufen, aber Thomasine hielt sie am Arm zurück.
    Â»Nein. Sehen Sie nur, Annie.«
    William hatte sich aufs Pflaster gesetzt und tauchte den Finger in die ausgelaufenen Eier. Thomasine mußte lächeln, als sie sah, wie er mit dem Eigelb Kreise auf die Platten malte und das klebrige Eiweiß durch die Finger rinnen ließ, alles mit einem Ausdruck tiefen Entzückens auf dem Gesicht.
    Â»Er ist unartig! « Sie wandte sich zu Annie um. »Ist das nicht

Weitere Kostenlose Bücher