Die geheimen Memoiren der Jane Austen - Roman
Tatsache.«
»Sagen Sie über die salzige Luft, was Sie wollen«, wandte Maria ein, »aber wenn ich hier einen Monat leben müsste, wäre mir sicherlich vier Wochen lang speiübel von diesem Fischgestank.«
»Ich mag eigentlich Fisch sehr gern«, erwiderte Mr. Churchill.
»Dann sind Sie ja hier genau richtig«, sagte Mr. Grady, »denn unsere Flüsse wimmeln nur so vor feinen Lachsen und gesunden Austern. Allerdings werden, um der Wahrheit die Ehre zu geben, hier in der Gegend nicht mehr viele davon verkauft.«
»Das habe ich mir sagen lassen«, antwortete Mr. Ashford. »Anscheinend schicken sie heutzutage den besten Fisch auf Wagen über Land auf die Londoner Märkte.«
»Genau so ist es, Sir. Aber es gab Zeiten, und das ist noch gar nicht lange her, da war in Southampton so viel köstlicher Fisch zu bekommen, dass die Lehrjungen in ihren Verträgen eine Klausel hatten, die ihren Meistern untersagte, ihnen mehr als dreimal in der Woche Lachs zu essen zu geben.«
»Dreimal in der Woche!«, meinte Maria entsetzt. »Niemand sollte gezwungen werden, dreimal in der Woche Lachs zu essen.«
»Es gibt gewiss viele Menschen, da bin ich sicher, die es nicht als Strafe betrachten, sondern sich für diese Köstlichkeit bedanken würden«, meinte Mr. Churchill.
»Seht nur! Delphine!«, rief Cassandra plötzlich unddeutete auf zwei dieser eleganten Geschöpfe, die kaum zwanzig Meter entfernt pfeilschnell durch die Wellen schossen.
»Da lächelt uns aber Fortuna«, sagte Mr. Grady. »Es wird ein Glückstag werden.«
»Wieso?«, fragte Mr. Ashford.
»An der Küste der Insel Wight gibt es viele Delphine, aber nur gelegentlich kommen sie auf ihrer Beutejagd bis zu uns in die Flussmündung. Hier bei uns sagt man, dass es ein gutes Zeichen ist, wenn man im Southampton Water welche erspäht.«
Seine Worte dienten nur dazu, die festliche Stimmung unserer kleinen Gesellschaft noch zu heben, mit Ausnahme von Maria, versteht sich, die nicht an gute Vorzeichen glaubte und die nächsten fünf Minuten lang trotz unserer Beteuerung des Gegenteils darauf bestand, dass Delphine Fische seien.
Als wir am Dorf Hythe und dem in der Nähe gelegenen Waldgebiet vorüberglitten, erkundigte sich Mr. Ashford: »Was ist das für eine Burg dort?«
»Das ist Calshot«, antwortete Mr. Grady. »Und da drüben, hinter dem Wald von Wolston House, dem Herrenhaus, das unmittelbar am Fluss liegt, das ist die Festung Netley. Heinrich VIII. hat beide zur Verteidigung des Hafens erbauen lassen. Sie sind kein sonderlich bemerkenswerter Anblick, zumindest nicht verglichen mit unserer großartigen Abteikirche, und auch deswegen nicht sehr interessant, weil es dort nicht spukt.«
»Spukt?«, fragte ich aufgeregt nach. »Soll es in der Abtei denn spuken?«
»Ja, klar doch. Leute, die töricht genug sind, nachts dorthin zu gehen, haben berichtet, dass sie viele Erscheinungengesehen hätten, die über der Sakristei und sonst wo herumschwebten. Die Gespenster, sagt man, bewachen einen Schatz, der einst der Abtei gehörte und seit ewigen Zeiten irgendwo auf dem Gelände versteckt ist.«
Diese Geschichte entzückte mich, und sogar Maria begann, ein halbherziges Interesse zu zeigen, als wir einige Minuten später am Strand landeten.
»Zu dieser Jahreszeit werden Sie wohl hier keine Leute vorfinden«, meinte Mr. Grady.
Seine Vorhersage sollte sich als wahr erweisen. Nachdem wir den wackeren Seemann beim Boot zurückgelassen hatten, folgten wir dem Pfad, der von dem grasigen Ufer hinaufführte, und konnten nach wenigen Minuten die Ruine sehen. Unsere Begleiter, die sie noch nicht kannten, stießen kleine Rufe der Begeisterung aus. Wie immer war der Anblick atemberaubend.
Netley Abbey ist eine ausgedehnte, mit Efeu überwachsene Ruine aus feinem weißem Stein, die von leuchtend grünem Rasen und dicht beieinander stehenden Bäumen umgeben ist. Sie umfasst eine Reihe verschiedener, miteinander verbundener Gebäude. Nur die hohen Seitenmauern stehen noch, ohne Dach und zum Himmel offen, aber es ist genug von den elegant geschwungenen Bögen und dem zarten Rippengewölbe erhalten geblieben, um die frühere Schönheit dieses Gebäudes zu erahnen.
Während wir von einem weiten Raum zum anderen durch die Ruine spazierten, erzählte ich ein wenig von der Geschichte dieses Ortes, wie man sie mir erklärt hatte. Die Abtei war 1239 von Zisterziensermönchen auf Geheiß König Heinrichs III. erbaut worden und hatte bis zur ihrer Auflösung durch Heinrich VIII. im Jahre 1536
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