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Die geheimen Memoiren der Jane Austen - Roman

Die geheimen Memoiren der Jane Austen - Roman

Titel: Die geheimen Memoiren der Jane Austen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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fortbestanden. Dann wurde das Anwesen einem Mann zugesprochen,der die Gunst des Königs genoss. Er baute das Mittelschiff und einige Wirtschaftsgebäude in der Tudorzeit zu einer luxuriösen Residenz um. Dabei wurden viele Abteigebäude zerstört, während die Außenmauern der Kirche und einige der Fenster erhalten blieben. Anzeichen für das zweite Leben der Abtei als Wohnhaus ließen sich im vorderen Bereich der Ruine finden, wo noch verschiedene Spuren von Mauerwerk aus Backsteinen und die Überreste eines Kamins sichtbar waren.
    »Ist das nicht ein Motiv, das sich auch im Kapitel haus der Westminster Abbey findet?«, fragte Mr. Ashford, als wir beim Ostfenster der Kirche standen, das recht gut erhalten ist und wunderschöne Proportionen hat.
    »Ja«, antwortete ich. »Man glaubt, dass Netley vom gleichen Baumeister errichtet wurde, der auch die Westminster Abbey erbaut hat.«
    »Das ist wirklich großartig«, sagte Mr. Ashford. »Der Ort hat eine außerordentlich romantische Atmosphäre.«
    »Ich finde ihn ziemlich hässlich«, fuhr Maria dazwischen.
    Wir wandten uns alle verwundert zu ihr um. »Das kannst du nicht ernst meinen«, rief Mr. Churchill. »Maria, sieh dich doch um. Dies ist ein ebenso schöner Anblick wie ein römischer Tempel.«
    »Es ist nichts als eine ausgedehnte, alte Ruine«, beharrte Maria. »Ein Haufen Steinmauern mit ein paar Fenstern, alles ohne Dach, von Bäumen umgeben und völlig vom Efeu überwuchert.«
    »Maria hat noch nie viel Ehrfurcht vor alten Dingen an den Tag gelegt«, meinte Mr. Ashford lachend.
    »Das stimmt nicht«, widersprach sie. »Ich bewundere alte Gebäude mindestens so sehr, wie das andere Leutetun. Aber nur, wenn sie gut erhalten sind und man darin wohnen kann. Doch wenn das Dach fehlt und die Mauern bröckelig werden, dann sollte sie jemand abreißen.«
    »Das hat tatsächlich jemand versucht«, sagte ich, »und ist dabei auf furchtbare Weise umgekommen.«
    »Wirklich?«, fragte Mr. Ashford, neugierig geworden. »Wie das?«
    »Im letzten Jahrhundert«, erklärte ich, »ging die Abtei in den Besitz eines Baumeisters über, der die Absicht hatte, sie völlig abzutragen und die Steine als Baumaterial zu verkaufen. Eines Nachts träumte er, dass ein Schlussstein aus dem Ostfenster herunterfiel und ihm den Schädel zertrümmerte. Seine Freunde warnten ihn, er solle seine Pläne nicht weiterverfolgen, da auch sie es für gotteslästerlich hielten, die Abtei zu zerstören. Doch er hörte nicht auf sie. Bei den Abbrucharbeiten lockerte sich auch wirklich der fatale Schlussstein, fiel ihm auf den Kopf und verursachte einen Schädelbruch. Zunächst hielt man diese Verletzung nicht für tödlich, doch es schien, als sei über ihn das Urteil gesprochen – als sei der Kirchenschänder zum Tode verdammt –, denn er starb kurz darauf, als ihm ein Splitter entfernt wurde.«
    Die Männer lachten. Maria staunte atemlos. »Ist das wahr?«
    »Bei meiner Ehre«, erwiderte ich. »Man sah seinen Tod als Zeichen dafür, dass man mit der Zerstörung der Abtei nicht fortfahren sollte, und so blieb das Gebäude so, wie wir es jetzt sehen.«
    »Nun ja«, meinte Maria, »da alle diesen Ort so sehr zu mögen scheinen, nehme ich an, dass sein Tod eine Art glückliche Schicksalsfügung gewesen sein muss.«

    Wir zogen uns auf den ausgedehnten Rasen vor der östlichen Seite der Abtei zurück. Dort fanden wir unter einem großen Baum eine Stelle, die nicht zu feucht war. Wir breiteten unsere Decken aus und genossen das Picknick, das Mr. Ashford mitgebracht hatte: kalten Braten, Brot und Käse.
    »Ich liebe diesen Ort«, sagte ich, während mein Blick auf die Abteiruine mit ihren vielen Fensteröffnungen gerichtet war. »Ich male mir gern aus, was für Menschen hier gelebt haben, wie ihr Leben wohl war.«
    »Kalt, nehme ich an«, meinte Mr. Ashford.
    Alle lachten.
    »Ich meine, ehe es eine Ruine war«, erwiderte ich lächelnd.
    »Du meinst, als es noch ein richtiges Kloster war?«, erkundigte sich Cassandra.
    »Nein«, antwortete ich, »denn die Mönche hatten ja wohl einen streng festgelegten Tagesablauf, weil sie sich an die Regeln des Zisterzienserordens halten mussten. Ich denke mehr an die Zeit, als das große Herrenhaus aus der Tudorzeit noch hier stand und irgendein Graf mit seiner Gräfin darin wohnte.«
    Wir ließen schweigend die schöne und romantische Atmosphäre der Ruine auf uns wirken. Meine Gedanken wanderten. Ich hatte in der Vergangenheit schon öfter Geschichten für meine jungen

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