Die geheimen Memoiren der Jane Austen - Roman
müssen, überlegte ich verärgert. Ich konnte mich jedoch durch seine Wahl nun nicht mehr beleidigt fühlen.
Jetzt führte uns die Haushälterin in die Galerie im Nordflügel, wo uns reiche Herrschaften in nobler, altmodischer Kleidung von den Wänden herunter anstarrten, von einer Reihe Porträts, die bis weit ins siebzehnte Jahrhundert zurückreichte. Ich schritt weiter und hielt Ausschau nach dem einzigen Gesicht, das ich erkennen würde. Endlich fand ich es – eine große Leinwand, die an einem bevorzugten Platz hing und ein außerordentlich gutes Ebenbild war. Als ich die lebendigen, intelligenten Augen und das aufrichtige Lächeln in dem vertrauten Gesicht erblickte, verspürte ich einen schmerzlichen Stich. Dazu kam eine beträchtliche Verstörung und unwillkürlich auch ein Gefühl der Zuneigung, denn ich erinnerte mich daran, manchmal ein ähnliches Lächeln wahrgenommen zu haben, wenn er mich anschaute.
»Und dies ist mein Herr, Sir Thomas Ashford, mit seiner Familie«, verkündete die Haushälterin und deutete stolz auf das in der Nähe hängende Porträt eines gutaussehenden, weißhaarigen Herrn, der Mr. Ashford ähnelte, aber zweifellos fünfundzwanzig Jahre älter war. Das Gemälde daneben zeigte eine schwarzhaarige Schönheit von großerEleganz; neben ihr eine hübsche, schüchtern dreinblickende junge Frau in einem wunderschönen Kleid. »Das ist seine Frau Georgiana seligen Gedenkens. Und dies ist ihre Tochter Sophia, ein entzückendes, liebenswertes Geschöpf! Und dies ist ihr Sohn und Erbe, ein wahrhaft feiner Herr, Mr. Frederick Ashford.«
Alethea gesellte sich zu mir, als ich gerade Mr. Ashfords Porträt mit großem Ernst studierte. »Was für ein gutaussehender Mann!«, sagte sie.
»Und auch ein guter Mensch«, fügte die Haushälterin hinzu. »Nicht wie all die anderen wilden jungen Männer, die man dieser Tage überall sieht und die nur an sich denken.«
»Es geht doch nichts über einen guten, aufopfernden Sohn«, meinte Squire Bigg-Wither mit einem kleinen Seufzen. Ich vermutete, dass er an seinen Sohn Harris dachte, der auf seine Weise auch ein guter Mensch war, mit dem der Squire aber nie ein entspanntes Verhältnis gehabt hatte.
»Mr. Ashford ist genau wie sein Vater«, sagte die Haushälterin, »sowohl im Aussehen als auch im Temperament und in seiner Klugheit. Und Sir Thomas, nun, man könnte die ganze Welt bereisen und würde keinen besseren Herrn finden. Fragen Sie seine Pächter, sie würden alle Sir Thomas als den gütigsten und besten Landherren bezeichnen. Und darüber hinaus ist er äußerst großherzig zu den Armen. Sein Sohn wird sicher einmal in seine Fußstapfen treten. Er war schon immer ein so gutmütiger, intelligenter Junge, der Stolz seiner Familie, und er ist zu einem außerordentlich umsichtigen, großzügigen Mann herangewachsen. Erst letzten Winter hat er seiner Schwester ein Pianoforte gekauft, weil sie so gern spieltund singt, und von seinem eigenen Geld hat er das Musikzimmer neu renovieren lassen, nur zu ihrem Vergnügen.«
Diese erfreuliche Beschreibung Mr. Ashfords, überlegte ich, stimmte mit dem Bild des Mannes überein, den ich kennengelernt hatte, den ich zu kennen glaubte. Sie musste zutreffend sein, denn welches Lob konnte wahrhaftiger und wertvoller sein als das einer getreuen Bediensteten? Gleichzeitig wallte jedoch in mir erneut Empörung auf. Wie konnte ein Mann, auf den man so große Stücke hielt, den seine Bediensteten und seine Familie so liebten, mich mit derart hochmütiger Verachtung behandeln? In diesen wenigen Wochen, in denen Mr. Ashford meine Gesellschaft gesucht, mir seine Meinungen und Begeisterungen mitgeteilt und mich dazu gebracht hatte, ihn zu lieben, während er mir doch gleichzeitig die wichtigste Nachricht über sich vorenthielt, hatte er da keine Rücksicht auf meine Gefühle gekannt? Hatte er nicht gemerkt, welchen Schmerz er mir zufügte? Oder war es ihm gleichgültig?
»Verbringt die Familie viel Zeit hier auf dem Land?«, hörte ich Mr. Morton fragen.
»Vielleicht das halbe Jahr«, antwortete die Haushälterin. »Die restliche Zeit über hält sie sich in London auf. Allerdings könnte es sein, dass Mr. Ashford in Zukunft länger hier auf Pembroke Hall verweilt, wenn er erst verheiratet ist.«
Angesichts dieser Worte begann mein Herz erschreckt zu pochen. Es drängte mich danach, mehr über diese Heirat zu erfahren, aber ich wagte nicht zu fragen. Zum Glück übernahm Mr. Morton diese Aufgabe für mich.
»Wer ist
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