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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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aus meinen Gedanken. Ich blinzelte und kehrte wieder in die Gegenwart zurück; einen Teil des Gesprächs hatte ich wohl verpasst. Wir gingen inzwischen jenseits der Fabriken über die baumlosen weiten Felder, die durch endlos scheinende Steinmauern wie ein Schachbrett in einzelne Parzellen aufgeteilt waren. Seltsam, überlegte ich mit einem leisen Lächeln, dass sich Branwell nach meinem Schreiben erkundigte, als ich gerade über die Malerei nachdachte; aber diese beiden künstlerischen Betätigungen gingen irgendwie Hand in Hand.
    Ehe ich antworten konnte, sagte Emily: »Charlotte hat seit über einem Jahr kein einziges Wort geschrieben, soweit ich das beurteilen kann.«
    »Stimmt das?«, fragte Branwell überrascht.
    Ich überlegte mir meine Antwort genau. Tatsächlich hatte ich seit meiner Heimkehr aus Belgien vor achtzehn Monaten insgeheim spät in der Nacht Gedichte und Prosa geschrieben. Ich versuchte auf diese Weise, die Traurigkeit zu bewältigen, die mein Herz beschwerte. Das würde nun nicht länger verborgen bleiben, da Anne nach Hause gekommen war und das Bett mit mir teilen würde. »Ich habe in letzter Zeit nichts Nennenswertes zustande gebracht«, sagte ich, was halbwegs der Wahrheit entsprach.
    »Warum nicht?«, fragte Branwell. »Das Schreiben liegt dir doch ebenso sehr im Blut wie mir, Charlotte. Du hast mir einmal gesagt, es sei eine Folter für deine Seele, nur einen einzigen Tag lang nicht die Feder aufs Papier zu setzen. Gib es zu: Du musst doch zumindest ab und zu an Angria und deinen Herzog von Zamorna
denken

    Angria war das Phantasiekönigreich, das Branwell und ich als Kinder erfunden hatten: eine sanfte afrikanische Landschaft, die wir zunächst die »Konföderation der Glasstadt« genannt und mit einer Schar edler, wohlhabender Menschen bevölkert hatten, die leidenschaftlich liebten, begeistert Kriege führten, große Abenteuer erlebten und für uns so wirklich waren wie das Leben selbst. Der Held meiner Kindertage war der berühmte Herzog von Wellington gewesen; nachdem ich diese Schwärmerei hinter mir gelassen hatte, schuf ich einen imaginären Sohn für ihn, den Herzog von Zamorna (alternativ auch als Arthur Augustus Adrian Wellesley, Marquis von Douro und König von Angria bekannt). Zamorna war Dichter, Soldat, Staatsmann und leidenschaftlicher Liebhaber der Damen und hatte im Laufe zahlloser Geschichten meinen Verstand und mein Herz erobert – Geschichten, die ich selbst mit Mitte zwanzig immer noch mit großem Vergnügen erfunden hatte, als ich nach Belgien aufbrach. Seither hatte ich kein Wort mehr über ihn oder über Angria geschrieben.
    »Ich glaube, unser Professor in Brüssel hat irgendetwas gesagt, das sie entmutigt hat«, meinte Emily.
    Mir stieg die Hitze ins Gesicht. »Das stimmt nicht. Monsieur Héger hat mein Schreiben sehr unterstützt. Er sagte, ich hätte Talent, und hat mir geholfen, meine Fertigkeiten zu verfeinern und zu vervollkommnen. Ich habe von ihm mehr als von jedem anderen Lehrer gelernt. Aber er zwang mich auch, neu zu bewerten, was ich schrieb, und zu beurteilen, welchenStellenwert das Schreiben in meinem künftigen Leben einnehmen sollte.«
    »Und welches künftige Leben soll das sein?«, wollte Branwell wissen.
    »Ich bin neunundzwanzig Jahre alt. Es hat keinen Zweck, weiterhin solche albernen, romantischen Geschichten zu schreiben, wie wir sie in unserer Jugend verfasst haben. In meinem Alter sollte die Phantasie gezähmt und sorgfältig zurechtgestutzt werden, das Urteilsvermögen kultiviert und die unzähligen Illusionen der Jugendzeit hinweggefegt werden.«
    Branwell lachte. »Großer Gott, Charlotte! Das klingt, als wärst du hundertneunundzwanzig, nicht neunundzwanzig.«
    »Darüber solltest du keine Scherze machen. Ich muss jetzt ernst werden. Ich muss mich auf das konzentrieren, was praktisch und klug ist.«
    »Wir können doch praktisch denken und klug sein«, warf Anne dazwischen, »ohne gleichzeitig das Schreiben aufzugeben.«
    »Wir?« Ich schaute sie an. »Hast du etwa auch geschrieben, Anne?«
    Ein Blick flog zwischen Anne und Emily hin und her. Nach einigem Zögern sagte Anne: »Nein, eigentlich nicht – zumindest nichts, was von Bedeutung wäre.«
    Nun war meine Neugier erwacht; offensichtlich hatte Anne tatsächlich geschrieben, war aber genauso wenig wie ich bereit, darüber zu sprechen. Was das Thema ihrer Arbeit betraf, so konnte ich eine Vermutung wagen. In ihrer Kindheit hatten Emily und Anne ihre eigene Phantasiewelt

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