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Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë

Titel: Die Geheimen Tagebücher Der Charlotte Brontë Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Syrie James
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Hoffnung.«
    »Ich halte es für das Beste, im Augenblick nichts weiterzu sagen, Sir, denn ich weiß noch nicht, was ich denke oder fühle. Ich verspreche, Ihnen morgen eine Antwort zu geben.« Er regte sich noch immer nicht. Ich nahm ihn beim Arm. Halb führte und halb zog ich ihn aus dem Zimmer und auf den Flur. »Gute Nacht, Sir. Noch einmal meinen Dank.«
    Als ich die Haustür fest hinter ihm geschlossen hatte, lehnte ich mich an die Wand im Flur. Meine Gedanken jagten wild durcheinander, mein Herz klopfte. Was war da gerade geschehen? Hatte ich es mir eingebildet? Oder hatte mir Mr. Nicholls eben wirklich einen Heiratsantrag gemacht? Ich war sechsunddreißig Jahre alt. Ich hatte jeglichen Gedanken an eine Heirat aufgegeben, war mir sicher, dass niemand, den
ich
lieben konnte, mich je lieben würde. Ich hatte längst gelobt, lieber mein Leben lang unverheiratet zu bleiben, als einen Mann zu ehelichen, der mich nicht anbetete und den ich nicht auch von ganzem Herzen anbeten konnte. Doch nun stand ich vor einem Rätsel. Mr. Nicholls hatte mir seine Zuneigung mit so viel Leidenschaft und Gefühl kundgetan, wie ich es mir nur von einem Helden in einer romantischen Geschichte oder einem Liebesroman hätte erhoffen können.
    Was fühlte ich für Mr. Nicholls? Liebte ich ihn? Nein, aber während ich ihn früher geringgeschätzt hatte, hatte ich mit den Jahren Achtung für ihn entwickelt. Ich hatte ihn liebgewonnen, und ich hielt ihn nun für einen vertrauten und werten Freund – beinahe ein Mitglied der Familie. Während seiner verwirrenden Erklärung schien sein ganzes Wesen von seiner Liebe zu mir zu sprechen – von einer Liebe, die er stets verborgen gehalten hatte. Wer konnte wissen, ob nicht mit der Zeit in meinem Herzen als Antwort darauf auch eine solche Liebe sprießen würde?
    Oh, wären doch nur meine Schwestern noch am Leben!, dachte ich. Wie gern hätte ich diese Neuigkeit mit ihnen geteiltund mir ihren Rat eingeholt. Ich hatte nicht einmal eine enge Freundin, mit der ich reden konnte. Die einzigen Frauen, mit denen ich über persönliche Dinge sprach – Ellen, Mrs. Gaskell und Miss Wooler – lebten viele Meilen entfernt, und diese Angelegenheit konnte nicht warten, bis wir uns auf zeitraubende Weise brieflich darüber ausgetauscht hatten. Ich hatte niemanden außer Papa; und dessen Zustimmung brauchte ich in jedem Fall. Gewiss, überlegte ich, würde Papa mir seine kluge und unvoreingenommene Meinung zu dieser Sache sagen und mir bei meiner Entscheidung helfen.
    Ich holte einige Male tief Luft, um mich zu beruhigen, klopfte an die Tür des Studierzimmers und trat ein.
    Papa saß aufrecht in seinem Sessel beim Kamin und las mit Hilfe eines Vergrößerungsglases im Schein einer Kerze und des Kaminfeuers die Zeitung. Zu aufgeregt, um mich hinzusetzen, zu benommen, um meine Worte sorgfältig zu wählen, schritt ich sofort zu ihm hin und sagte mit bebender Stimme: »Papa, gerade habe ich einen Heiratsantrag bekommen.«
    »Wie bitte?«, fragte Papa, dessen Aufmerksamkeit noch auf die Zeitung gelenkt war.
    »Mr. Nicholls hat mich gebeten, ihn zu heiraten.«
    Papas Kopf fuhr herum. Der Mund stand ihm offen, und er starrte mich vollkommen verwirrt an. Beinahe hätte er das Vergrößerungsglas fallen lassen. Er fing es mit beiden Händen auf, ebenso die Zeitung, die ihm vom Schoß zu gleiten drohte. »Was sagst du da? Willst du mich ärgern? Oder soll das ein Scherz sein?«
    »Nein, Papa. Mr. Nicholls kam noch zu mir, nachdem er dich verlassen hatte. Er hat es mir gerade eben erst gesagt. Er hat mir erklärt, dass er mich liebt, und mich gebeten, seine Frau zu werden.«
    Papa erhob die Stimme in plötzlicher Wut: »Das ist ja absurd! Mr. Nicholls? Für wen hält er sich, dass er sich erdreistet, etwas so Unerhörtes zu tun – und noch dazu gleich mit dir spricht! Wie kann er es wagen! Diese Frage muss zuerst an den Vater gerichtet werden! Ich hoffe, du hast ihn schlichtweg abgelehnt.«
    »Ich habe ihm keine Antwort gegeben, Papa. Ich habe ihm gesagt, ich müsste erst mit dir reden.«
    »Nun, du kannst ihm von mir ausrichten, dass er sich zur Hölle scheren soll!«
    »Papa!«
    »Mr. Nicholls? Fragt dich, ob du ihn heiraten willst! Ist er verrückt geworden? Der Mann ist mein Hilfspfarrer! Ein niederer Hilfspfarrer! Wusstest du, dass es zu einem solchen Antrag kommen würde?«
    »Nein – aber ich hatte Anzeichen wahrgenommen. Meine Vernunft sagt mir nun, dass dieser Gedanke schon über lange Zeit in ihm

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