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Die Geheimnisse der Toten

Die Geheimnisse der Toten

Titel: Die Geheimnisse der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Harper
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haben nichts Unrechtes getan. Aber wir müssen uns mit Ihnen unterhalten.»
    «Erinnern Sie sich an die Kette, die Sie und Jessop mir abgenommen haben?»
    «Was ist damit?»
    «Ich will, dass Sie sie mir bringen.» Sie spürte den neuen Pass in der Tasche und betete, dass sie damit durchkommen würde. «Kennen Sie die kroatische Stadt Split? Wir treffen uns morgen um zwei vor der Kathedrale.»
    «Sie glauben doch nicht im Ernst, ich lasse hier alles stehen und liegen, um Ihnen eine Kette nach Kroatien zu bringen?»
    Sie legte eine Hand auf den Hörer und schaute sich um. Michael stand auf der anderen Seite des Platzes und kaufte Zigaretten von einer Roma. Er hatte Abby den Rücken zugekehrt.
    «Michael lebt», sagte sie.
    «Michael Lascaris?»
    «Sein Tod war eine Falschmeldung. Er ist hier bei mir.»
    Michael kam wieder herbeigeschlendert.
    «Morgen Mittag um zwei vor der Kathedrale in Split», wiederholte sie. «Und vergessen Sie die Kette nicht.»
    «Augenblick –»
    Sie legte auf. Michael öffnete die Tür.
    «Haben sie angebissen?»
    «Er kommt», antwortete sie. Wieder zog sie den Pass hervor und starrte auf das fremde Gesicht. «Fraglich ist nur, ob wir es schaffen.»

[zur Inhaltsübersicht]
    38
    Konstantinopel – Mai 337
    Die Dunkelheit im Archiv ist undurchdringlich. Ich habe mich allzu weit vom Eingang entfernt und finde nicht zurück. Ich weiß nicht einmal mehr, wo oben oder unten ist.
    Aber immer noch ruft jemand meinen Namen. Ich sperre die Augen auf. Die Dunkelheit schwindet. Ein Licht nähert sich; es flackert durch die Lücken in den Regalen.
    «Gaius Valerius?»
    Es ist der Archivar.
    «Ich habe dir doch gesagt, du sollst zum Lesen nach draußen kommen», rügt er mich. «In der stickigen Luft hier unten kann’s gefährlich werden.»
    Ich bin zu erschöpft, um stolz auf mich zu sein. «Danke, dass du zu meiner Rettung gekommen bist.»
    «Zu deiner Rettung?» Er klingt amüsiert. «Ich bin gekommen, weil der Augustus dich sehen möchte.»
    Ich verstehe nicht. «Konstantin? Ist er schon so bald von seinem Feldzug zurückgekehrt?»
    «Er ist in Nikomedia.»
    In dem Moment schwant mir, dass er nie mehr zurückkehren wird.

Villa Achyron, in der Nähe von Nikomedia – Mai 337
    Nikomedia liegt siebzig Meilen weit entfernt. In meiner Jugend habe ich Mietpferde über diese Strecke dermaßen angetrieben, dass ich sie in nur einem Tag zurücklegte. Heute brauche ich fast doppelt so lange, was nicht nur an meinem Alter liegt. Es herrscht viel Verkehr auf der Straße, und vor jeder Zwischenstation muss man Schlange stehen, um ein neues Pferd zu ergattern. Die Sendboten sind kurz angebunden, umso geschwätziger die Pferdeknechte. Von ihnen erfahre ich, dass Konstantins letzter Feldzug endete, kaum dass er begonnen hatte. Er kam nicht einmal bis Nicäa, denn schon vorher klagte er über Magenschmerzen. An den heißen Quellen von Pythia Therma hoffte er auf Besserung, aber die Kurbäder verschlimmerten sein Leiden nur. Die Ärzte meinten, er sei zu schwach, um nach Konstantinopel zurückzukehren. Also bezog er in einer kaiserlichen Villa, einer von Diokletians alten Besitzungen in der Nähe von Nikomedia, Quartier: in der Villa Achyron. Achyron bedeutet «Dreschboden», wo die Spreu vom Weizen getrennt wird. Ich kann mir vorstellen, dass Konstantin darüber nicht erfreut ist.
    Die Villa liegt fünf Meilen vor Nikomedia, auf Terrassen, die in den Hang über der Küste geschlagen wurden. Ringsum erstrecken sich Kornfelder, doch der Dreschboden, der der Villa ihren Namen gab, ist längst verschwunden. Die Maisonne hat das Korn gut gedeihen lassen, aber die Ernte fällt in diesem Jahr aus. Zweitausend Soldaten, die auf den Feldern lagern, haben alles plattgetrampelt. Ob sie die Villa bewachen oder belagern, lässt sich kaum unterscheiden. Auf einer von Platanen gesäumten Chaussee steige ich bergan und melde mich bei einem Mann, der im Vestibül seine Verwaltung eingerichtet hat. Er ist nicht etwa ein Schreiber des Palastes, sondern ein Offizier der Protectores .
    «Wie geht es dem Augustus? Liegt er …» Im Sterben? Ich bringe die Worte nicht über die Lippen, mag nicht einmal daran denken.
    Ein bitterböser Blick. «Seine Ärzte verordnen ihm Ruhe.»
    «Er hat mir eine Nachricht zukommen lassen und mich aus Konstantinopel hierherbeordert.»
    «Dein Name?»
    Seine Frage trifft mich wie ein Schlag ins Gesicht. Will er mir damit etwas zu verstehen geben? Mich an meinen Platz verweisen? Man fragt nicht nach meinem

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