Die Geheimnisse der Toten
Mutter verraten und sich dadurch wahrscheinlich selbst gerettet.
Konstantin erhebt sich, lässt aber seine Hand auf der Schulter seines Sohnes ruhen.
«Du hast Crispus vernichtet», sagt er zu Fausta.
Immer noch trieft Blut von ihrer aufgeplatzten Lippe. Sie wischt mit dem Handrücken darüber und schmiert sich eine hässliche Grimasse ins Gesicht. Ihre Augen irren durch den Raum wie die eines in die Enge getriebenen Tiers. Schließlich bleibt ihr Blick auf Konstantin haften.
«Ja, das habe ich», flüstert sie.
«Warum?» Er wendet sich ab. «Nein, sag es nicht.» Er sieht Helena an. «Kannst du dich um alles Weitere kümmern? Diskret?»
«Was wird aus den Kindern?», fragt sie.
«Finde einen Lehrer für sie.»
Sie will Protest einlegen, doch Konstantin achtet nicht auf sie. Er kehrt ihr den Rücken zu und geht mit hängenden Schultern zur Tür. Ich will ihm nacheilen und Trost spenden, weiß aber, dass ich ihn nie mehr trösten kann. Nicht nach dem, was ich getan habe.
Helena ergreift Faustas Arm und packt so fest zu, dass sie nach Luft schnappt. «Ich finde, es ist Zeit, dass wir ein Bad nehmen.»
Erinnerungen stürzen auf mich ein; ich höre meine eigene Stimme aus jüngster Vergangenheit.
Seneca starb in einem Badehaus, nachdem er sich die Venen geöffnet hatte, damit die Hitze das Blut aus ihm herauszöge. Allerdings ist mir auch eine andere Version zu Ohren gekommen: dass er nicht an seinen Wunden starb, sondern im Dampf erstickte.
Welche Version stimmt, ist unerheblich. Eine jede hat dasselbe Ende.
Villa Achyron – 22. Mai 337
Konstantin starb nicht erst jetzt, sondern schon während der vierwöchigen Vicennialien. Seit nunmehr elf Jahren liegt dieser Schatten auf dem Reich. Der Kaiser hat drei Söhne, aber keine Frau. Die Geschichtsbücher berichten von zahlreichen Siegen ohne Sieger. Unsere Augen sind niedergeschlagen, unsere Stimmen bedeckt, und niemand wagt die Lüge anzusprechen. Manchmal denke ich, die ganze Heuchelei hat das Imperium an den Rand des Wahnsinns getrieben.
Ist Alexander daran zugrunde gegangen? Vor einer Woche noch war ich überzeugt davon, dass er getötet wurde, weil er zu viel über Eusebius wusste. Und über Symmachus. Jetzt bin ich mir dessen nicht mehr so sicher.
Konstantin: Symmachus kannte die Wahrheit über meinen Sohn.
Bassus hingegen, im Badehaus schwitzend: Er sagte, er habe etwas über einen Christenbischof herausgefunden. Etwas Skandalöses.
Aber was?
Alexander hatte im Archiv nach Hinweisen auf Crispus gesucht. Ich weiß, dass er Papiere aus Aquileia und aus Helenas Haushalt in der Hand hatte. Fand er etwas, das ihm zum Verhängnis wurde – und das Symmachus sah, als er den Dokumentenkoffer an sich nahm?
Ist das überhaupt noch von Belang? Was zählt der Tod des einen oder anderen, wenn der Kaiser verschieden ist? Ich erinnere mich an einen Ausspruch von Eusebius: Lasst die Toten ihre Toten begraben. Ein guter Ratschlag, wie ich meine.
Aber wenn Crispus’ Tod einen Sinn hatte, einen Sinn von mörderischer Konsequenz – dann …
Schwere Schritte hallen durch den Korridor. Die Generäle haben ihre Konferenz beendet. Im Hof nehmen sie zu zweit oder zu dritt Aufstellung. Ihre Mienen sind düster und entschlossen. Flavius Ursus kommt, von vier Gardisten begleitet, auf mich zu. Er hat alle Macht, aber seine Position ist auch besonders prekär.
«Wurden Entscheidungen getroffen?»
«Die Söhne des Kaisers werden das Reich unter sich aufteilen.» Er hält ein Pergament in der Hand. Wahrscheinlich ist eine Landkarte darauf zu sehen, die das Schicksal vieler Millionen Menschen besiegelt, beschlossen in einer Kammer dieser Villa.
«Sind alle einverstanden?»
«Die Streitkräfte stimmen zu.» Kein Zweifel, Claudius, Constantius und Constans werden sich erkenntlich zeigen und die reiche Beute, die der Krieg gegen Persien in Aussicht stellt, auf ihre Speichellecker verteilen. «Die Umstände verlangen Geschlossenheit.»
«Wann wird der Tod des Kaisers bekannt gemacht?»
«Constantius kommt aus Antiochia. Wir warten auf ihn.»
Also frühestens in zwei Wochen, vielleicht drei oder vier, je nach Zustand der Straßen und Gebirgspässe. «Könnt ihr das Geheimnis so lange hüten?»
«Es ist bei uns bestens aufgehoben. Die Streitkräfte stehen geschlossen. Aber es gibt andere Fraktionen, die auf ihren Vorteil lauern. Schon breiten sich Gerüchte aus …»
«Gerüchte sind immer im Umlauf.»
«Und man sollte ihnen nachgehen. Wir haben eine Aufgabe für
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