Die Geheimnisse des Nicholas Flamel - Die silberne Magierin: Band 6 (German Edition)
linken Schulter. Der ganze Baum zitterte und seufzte, dann wickelten die Wurzeln sie ein und umfingen sie wie in einer Umarmung.
»Wenn ich nach Tages Müh’n mein Bett gewann«, murmelte William Shakespeare, »die liebe Zuflucht müdgehetzter Glieder.«
»Sie ist der Baum«, stellte Scathach fest. »Untrennbar, unlösbar mit ihm verbunden. Wenn einer stirbt, geht auch der andere.«
»So weit wird es nie kommen«, behauptete Huitzilopochtli zuversichtlich und drängte seine Gefährten aus der fensterlosen runden Schlafkammer. »Der Yggdrasill hat Jahrtausende überlebt. Er wird nie sterben. Genauso wenig wie die Göttin.«
Scathach biss sich mit den spitzen Zähnen auf die Lippe. Vor nicht einmal einer Woche war sie Zeugin gewesen, wie der Yggdrasill – zugegebenermaßen eine kleinere Version von diesem hier – fiel. Sie hatte Hekate sterben sehen. Aber ihr Tod würde erst in zehntausend Jahren eintreten.
Vor der Tür wartete Prometheus. Er steckte von Kopf bis Fuß in einer kunstvoll gearbeiteten roten Rüstung und hatte sich ein gewaltiges Schwert mit roter Klinge auf den Rücken geschnallt. Der Griff ragte über seine rechte Schulter hinaus. Hinter ihm stand ein Trupp Torc Allta, die von Hekate erschaffenen Kampfeber. Zwei der riesigen Kreaturen nahmen Aufstellung vor Hekates Schlafkammer. Sie hatten den Körper eines hünenhaften, muskelbepackten Mannes, aber der Kopf war der eines Wildschweins mit platter Nase und langen, gebogenen Hauern. Die Augen wiederum – leuchtend blau – waren die eines Menschen.
»Die Torc Allta werden über ihren Schlaf wachen. Niemand wird ihr zu nahe kommen«, versprach Prometheus.
»Werden sie auf unserer Seite kämpfen?«, fragte Scathach. »Sie wären den Anpu mehr als ebenbürtig.«
»Nein, die Torc Allta sind nur Hekate gegenüber loyal«, antwortete Prometheus. »Und es ist besser, wenn sich für den letzten Kampf die Menschen zusammentun.« Er wandte sich an Huitzilopochtli. »Es ist so weit.«
Ohne ein weiteres Wort gingen die beiden Älteren durch den langen, gewundenen Korridor davon.
»Wartet!« Scathach lief ihnen nach und Shakespeare, Palamedes, Johanna und Saint-Germain folgten.
Weitere schwer bewaffnete Torc Allta tauchten aus der Dunkelheit auf und bauten sich um den hinter Wurzeln versteckten Eingang zur inneren Höhle auf. Die Kreaturen sprachen nicht, doch plötzlich blitzten in dem gedämpften grünen Licht Waffen auf.
»Ich glaube, sie wollen, dass wir gehen«, sagte Palamedes.
»Ich wusste nicht, dass du ihre Sprache verstehst.« In Shakespeares Ton schwang Bewunderung mit.
Palamedes schüttelte den Kopf. »Für einen Gelehrten kannst du manchmal ganz schön dämlich sein. Wenn jemand – Mensch oder Tier – die Zähne fletscht und einen Dolch von der Länge seines Arms zieht, gilt das gemeinhin als eindeutiges Zeichen.«
»Ich werd’s mir merken«, murmelte Will.
Palamedes hob seine Stimme: »Wir müssen hier verschwinden. Die beiden, die uns kennen und für uns bürgen könnten – Huitzilopochtli und Prometheus –, sind bereits weg und unsere Freunde, die Rotpelze, wirken etwas aufgeregt. Und wer solche Hauer hat, ist höchstwahrscheinlich kein Vegetarier.«
Die vier Unsterblichen beeilten sich, die anderen einzuholen.
»Wie sieht euer Plan aus?«, erkundigte sich Scathach, als sie sich dem Schritt der beiden Älteren anpasste.
»Plan? Wir werden das Baumvolk nach Danu Talis führen«, antwortete Prometheus. »Wir werden Aten befreien und die Älteren stürzen.«
»Einfach so?«, fragte sie überrascht. »Ich dachte, ihr beide wärt berühmte Krieger.«
»Es ist einfach und effektiv«, meldete sich Huitzilopochtli zu Wort.
»Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass es sich um eine ganz neue Kriegslist handelt«, fuhr Prometheus fort. »Die Menschen haben sich noch nie zuvor erhoben.«
Der hölzerne Flur endete an einer gewaltigen Treppe. Sie führte hinauf in den Stamm des Baumes und die Stufen bestanden aus knorrigen Wurzeln, die im Lauf der Jahrhunderte glatt und glänzend geworden waren. Alle Stufen waren unterschiedlich hoch, breit und tief.
Prometheus rannte die Treppe hinauf und Huitzilopochtli und Scathach joggten jeweils eine Stufe darunter hinter ihm her. »Wenn die Menschen sich noch nie erhoben haben, woher willst du dann wissen, dass sie es jetzt tun?«, fragte Scathach.
»Sie verehren Aten«, antwortete Huitzilopochtli. »Über viele Generationen hinweg waren die Menschen die Sklaven der Älteren. Als Aten an die
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