Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)
wenigstens möglich sein, einige Hundert oder Tausend Menschen vor dem sicheren Tode zu bewahren. Ich hatte den Text zu Hause formuliert und auswendig gelernt, hatte lange geübt, ich wollte auf keinen Fall, dass mein deutscher Akzent herauszuhören war.
Kurz vor dem Einchecken ging ich zu einem der Münztelefone und rief die Notrufnummer der Polizei an. Selbst wenn irgendwelche Geheimdienstler von dem Anschlag wissen sollten und nicht reagierten, die normalen Polizeibehörden würden doch wohl eine Bombendrohung ernst nehmen, zumal eine Drohung gegen ein Gebäude, dass 1993 schon einmal Ziel eines Anschlages geworden war. Immerhin waren damals fünf Stockwerke des Kellerbereiches zerstört worden. Ich musste mein Herz beruhigen und meinen Puls, meine Stimme durfte nicht zu ängstlich oder aufgeregt klingen, mehr entschlossen und kaltblütig. Ich dachte daran, dass ich keine Straftat beging, sondern ein Werk, um Menschenleben zu retten. Nach dreißig Sekunden hängte ich den Hörer auf die Kabel. Die Botschaft war angekommen. Nun konnte ich nichts mehr tun. Nur warten und hoffen. Ich weiß nicht, wie ich auf die Idee gekommen bin, es war wohl ein spontaner Impuls, aber als ich mit Monique die Rolltreppe zu den Eincheckschaltern hochfuhr, zog ich das Handy, das ich mir in einem großen Elektronik-Shop in Fort Lauderdale gekauft und mit einer Prepaidkarte versehen hatte, aus der Seitentasche und wählte kurz entschlossen die Nummer von Will Smith. Ich zuckte zusammen, einige Sekunden nach meinem Tastendrücken erklang die Titelmelodie von „Mission Impossible“ nur wenige Meter von mir entfernt auf der nach unten führenden Rolltreppe. Ich senkte schnell das Telefon und hielt es möglichst unauffällig an mein rechtes Hosenbein und sprach Monique von hinten an und verwickelte sie in ein Gespräch. In diesem Augenblick fuhr Will Smith direkt an uns vorbei, hinter ihm einer seiner Leibwächter. Ich schaute gar nicht zur Seite, dennoch war kein Zweifel möglich, ich sah aus dem Augenwinkel, dass er sich misstrauisch in der Halle umschaute und die Personen auf den Rolltreppen musterte. Er steckte sein Handy wieder ein und sagte irgendetwas zu seinem Handlanger. Ich war mir nicht sicher, ob er mich registriert hatte. Später sollte ich es erfahren. Die Maschine hob pünktlich ab. Ich begann zu beten. Meine Gebete wurden nicht erhört, vielleicht, weil ich nicht so recht an einen Empfänger glaubte.
Als wir Frankfurt erreicht hatten, sah ich auf allen Fernsehschirmen die Bilder des angegriffenen Amerikas. Immer wieder und wieder wurden die Einschläge der Flugzeuge erst in den Nordturm, dann in den Südturm gezeigt und die, wie nach einer gezielten Sprengung in sich zusammenstürzenden Towers. Mein Albtraum nahm kein Ende. Ich verfolgte aufmerksam die Berichterstattung. Es gab nur die schon bekannten Mitteilungen über Dutzende allgemein gehaltene Warnungen in den Monaten vor dem Anschlag. Kein Wort über eine Bombenwarnung wenige Stunden vor den Einschlägen der Flugzeuge. Langsam konnte ich auch zu einem Verschwörungstheoretiker werden. Unsere Verwandten beglückwünschten uns, dass wir in letzter Sekunde New York verlassen hatten. Meine Mutter mahnte in diesem Zusammenhang: „Ich habe dir schon hundert Mal gesagt: Amerika ist zu gefährlich. Sucht euch doch ein Apartment in Deutschland oder meinetwegen auf Ibiza. Ihr fordert euer Schicksal heraus, erst der Wirbelsturm, jetzt die Terroranschläge, wer weiß, was beim dritten Mal kommt.“ Ich war mir nicht sicher, ob ich mein Schicksal herausforderte oder ihm nur einfach folgte.
Die kommenden Jahre war ich auf alle Fälle weniger in Florida als in den Neunzigern. Die verstärkten und aufwendigen Sicherheitsvorkehrungen und Sicherheitskontrollen konnten einem die Freude an der Ein- und Ausreise nehmen. Ich versuchte, mich durch verstärkte Arbeit abzulenken. Tommy tröstete mich, dass ich es wenigstens versucht hätte. Aber dies war letztlich ein schwacher Trost. Aber immerhin, ein Trost. Zumal ich im Nachhinein erfuhr, dass es doch, wenngleich nur eine partielle Evakuierung auf dem Gelände und in Gebäuden von Ground Zero gegeben hatte und ein- bis zweihundert Bankmitarbeiter dem Inferno entkommen seien. Eine Bombendrohung hätte zu dieser Aktion geführt.
26. Kapitel
Das Jahr 2003 sollte, wie ich wusste, mehrere Überraschungen für mich bereithalten, leider waren diese nicht unbedingt von einer Art, dass man sich auf sie freuen konnte. Allerdings hatte ich ja
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