Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)
dass die Pole keine Klimaerwärmung mehr benötigt hätten, um zu schmelzen, war meine Belohnung. Ich zögerte nicht, sondern umarmte sie fest. Sie ließ es bereitwillig geschehen und erwiderte den Druck leicht. „Komm, setzen für uns.“ Ich nahm ihr ihre Reisetasche ab und brachte sie zu meinem Tisch.
„Wie ist dein Fest verlaufen?“, fragte ich mit gespielter Neugierde. „Langweilig. Ich bin froh, wieder hier zu sein.“
„Ich auch. Die Tage kamen mir unendlich lang vor. Ich war mir unsicher, ob du kommen würdest.“
Sie lachte. „Ich habe das Gleiche empfunden. Mir war nicht klar, ob du es mit der Verabredung ernst gemeint hast.“
„Ich habe die gesamten letzten zehn Tage nur an dich und unsere Verabredung gedacht“, erwiderte ich wahrheitsgemäß. Monique errötete leicht. „Mir erging es genauso.“
„Du siehst, ich hatte recht, als ich meinte, wir wären Seelenverwandte. Aber wir müssen jetzt eine Entscheidung treffen.“ Sie schaute etwas überrascht. „Was für eine Entscheidung meinst du?“
„Was wir die nächsten Wochen unternehmen wollen. An deinem Blick sehe ich, dass du noch gar nicht informiert bist.“ „Informiert worüber?“
„Über die Einstellung des Studienbetriebes auf unbestimmte Zeit. Viele Studenten konnten gar nicht anreisen. Allerdings sollen die schon Eingetroffenen sich in den Wohnheimen bereithalten, sie werden in den nächsten Tagen für verschiedene Winterdienstarbeiten eingesetzt.“
„Na toll. Darauf bin ich scharf.“ Ich nickte. „Ich natürlich auch. Aber es gibt eine Alternative.“
„Und die wäre?“
„Wir fahren gemeinsam nach Berlin und machen uns ein paar schöne Tage. Wenn wir hören, dass der Studienbetrieb wieder aufgenommen wurde, fahren wir zurück. Du warst doch noch gar nicht in deinem Wohnheim, keiner weiß, dass du überhaupt in Leipzig eingetroffen bist. Und ich habe mich diesmal auch nicht ins Anwesenheitsbuch eingetragen.“
„Was heißt diesmal?“ Die ehrliche Antwort auf diese Frage musste ich ihr schuldig bleiben. Ich hätte ansonsten meine Sanduhrgeschichte erzählen müssen und dies wäre wahrscheinlich das Ende unserer gerade erst beginnenden lebenslangen Romanze gewesen.
„Diesmal heißt, dass ich bisher bei jeder Ankunft als Erstes im Buch unterschrieben habe, aber diesmal umsichtiger gewesen bin und gleich und ohne Eintragung aus dem Studentenwohnheim wieder verschwunden bin.“
„Ah, so. Aber ich kann doch nicht einfach mit dir nach Berlin kommen, wir kennen uns doch kaum und wo soll ich deines Erachtens schlafen?“
„Kein Problem. Wir haben eine recht große Wohnung, ich werde bei meiner Schwester mit im Zimmer schlafen und du kannst mein Zimmer benutzen.“
„Und deine Eltern werden die sich nicht wundern, dass du ein Mädchen, das du noch gar nicht richtig kennst, als Übernachtungsgast anschleppst?“
„Wohl kaum, ich bin erwachsen. Außerdem können wir ja sagen, wir kennen uns schon seit Beginn des Studiums und jetzt, nachdem unsere Partnerschaften gescheitert wären, hätten wir vor, uns ein wenig besser kennenlernen.“
„Ein wenig besser klingt gut. Aber versprich dir nicht zu viel. Wir wollen es langsam angehen lassen.“
Ich stimmte sofort zu. Warum sollte ich auch nicht? Zumal ich wusste, dass ich bereits in der ersten Nacht mit ihr zusammen in meinem Zimmer schlafen und das „Langsam-Angehen“ beenden würde. Ich wollte aber nicht zu draufgängerisch oder überheblich wirken, ich war mir noch nicht klar darüber, ob Vergangenes tatsächlich so eintreten würde, wie ich es schon einmal erlebt hatte, wenn ich mich in der jetzigen Situation total anders verhalten würde.
Die zwei Wochen in Berlin waren unbeschreiblich schön, die Welt versank im Schnee, das Land im Chaos und wir in der Liebe. Ich wollte natürlich Eindruck machen und Monique Berlin zeigen, soweit es unter den Winterbedingungen noch zugänglich war. Vor allem sollte sie das Nachtleben einer Großstadt kennenlernen. Es gab einige bekannte Nachtbars. Alle Freunde schwärmten von der Bar Unter den Linden. Weltstädtisch und nobel und gute Musik , lauteten die Urteile. Ich entschied mich, den Versuch zu wagen. Das Wort „Versuch“ war treffend, weil man nie wusste, ob man zu den Glücklichen gehören würde, die Einlass fanden. Selbst das einstündige Warten vor der Öffnung der Bar, das Stehen an guter Position in einer meist endlosen Schlange, war keine Garantie dafür, dass man tatsächlich zum Tanzen und Trinken und
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