Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Titel: Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Tenner
Vom Netzwerk:
trinken ein Gläschen Bier und quatschen über Gott und die Welt, nur nicht über Frauen.“ Ich nahm seinen Vorschlag dankbar an. Und diese gemeinsamen Stunden halfen mir, die Welt wieder mit etwas anderen, nämlich optimistischeren Augen zu sehen. Jetzt ging es mir ohnehin ausgezeichnet, denn zwischen dem Zubettgehen um ein Uhr und meinem Sieben-Uhr-Lauf lagen dreißig Jahre. Ich schaute nach vorne und mein flaues Gefühl machte einem unbeschreiblichen Hochgefühl Platz. In einer halben Stunde würde ich meine Frau kennenlernen. Als ich zwei Wochen später meine Sachen bei Doris abholte, ließ ich es mir in meiner männlichen Eitelkeit nicht nehmen, zu bemerken: „Du hast recht gehabt. Ich danke dir. Es ist wirklich für uns beide das Beste. Hättest du am 23. nicht mit mir Schluss gemacht, wäre ich die Nacht nicht in Leipzig geblieben und hätte am nächsten Morgen nicht meine große Liebe kennenlernen können. Wir ziehen nächste Woche zusammen.“
    Das stimmte zwar nicht, denn ein gemeinsames Zimmer zu bekommen, war eine schwierige Angelegenheit und setzte einen Trauschein voraus, aber der Tendenz nach war die Behauptung keine Lüge. Ich hatte mein Ziel erreicht, Doris wusste für einige Sekunden nicht, was sie sagen sollte, natürlich wäre es ihr lieber gewesen, mich wenigstens einige Wochen leiden zu sehen. Auch sie sollte ich nie wiedersehen.
    Ich erinnerte mich, dass ich vor dreißig Jahren den Zug um 09.35 Uhr genommen hatte und vorher noch in der Zentralmensa frühstückte. Obwohl ich wusste, was kommen würde, war ich dennoch aufgeregt. Wie würde meine Frau dreißig Jahre jünger aussehen. Ich hatte nur noch ein verschwommenes Bild vor den Augen. Ich packte meine Tasche zusammen, gab Ahmed noch mal die Hand zum Abschied und dem eingerollten und immer noch schnarchenden Martin einen Klaps. „Machs gut, Alter. Ich wünsch dir ein tolles Leben und viel Erfolg beim Bergbau.“
    Er brummelte etwas unter seiner Decke und winkte kurz müde mit einer Hand. „Schöne Feiertage. Im Januar sehen wir uns wieder.“ Ich wollte diesen Irrtum nicht aufklären, er hätte es ohnehin nicht verstanden.
    In der Mensa angelangt, schaute ich neugierig zum Büfett. Es wird in der Literatur viel über die Liebe auf den ersten Blick geschrieben. An diesem Morgen lernte ich die Liebe auf die erste Berührung kennen. Als ich Monique das erste Mal sah, stand ich in der Schlange hinter ihr, konnte nur die gelockten schwarzen Haare sehen, sie war groß, trug einen mehrfarbigen Mantel, der ihre Figur alles andere als vorteilhaft hervorhob. Aber ich wusste ja, was für ein wundervoller, schlanker Körper sich unter dem dicken Stoff verbarg. Natürlich nur jetzt, beim ersten Mal noch nicht. Aber in dieser Sekunde hatte ich einen großen Vorteil ihr gegenüber, den Wissensvorteil. Wie damals (oder war das damals jetzt?) griff ich zur Zuckerdose, um mir einen Löffel Zucker in meinen Kaffee zu geben. Monique griff in genau demselben Moment an die Dose. Unsere Finger berührten sich für eine Sekunde. Egal, was die Menschen bezüglich der Naturgesetze und der Logik glauben, ein Wunder gibt es auf alle Fälle, das Wunder der Liebe. Dies mag banal klingen und ist tausendmal beschrieben oder in Filmen gezeigt worden, aber erst wenn man dieses Phänomen am eigenen Leibe erfahren hat, kennt man den Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Obwohl ich ja wusste, was passieren würde, durchfuhr es mich wie ein Blitz, mir wurde sofort heiß und mein Gesicht rötete sich. Sie drehte sich um. „Bitte, du zuerst.“ Ich schüttelte den Kopf. „Ladies first. Wie viel Zucker möchtest du?“
    „Zwei Teelöffel, bitte.“ Ich war so aufgeregt, dass mir beim Umrühren die Hand etwas zitterte. „Du hast wohl die Nacht durchgemacht?“, fragte sie mit einem Lächeln, das mich fast von den Füßen riss.
    „Das kann man sagen. Ich hatte guten Grund, meinen Kummer zu ersäufen.“
    „Du siehst gar nicht so aus, als ob dich etwas bedrücken würde.“
    „Tut es auch nicht. Jetzt nicht mehr. Jetzt habe ich dich kennengelernt.“
    „Schüchtern bist du wohl gar nicht? Du kommst bestimmt aus Berlin.“
    „Ins Schwarze getroffen.“ Die hinter uns Stehenden wurden unruhig. „Haben wir heute noch eine Chance, den Zucker zu bekommen?“ Ich drückte die Dose meinem Hintermann in die Hand und wendete mich wieder der wichtigsten Person meines Lebens zu. „Hast du dir schon einen Platz gesucht?“ Monique nickte. „Dort drüben, der Ecktisch, die braune

Weitere Kostenlose Bücher