Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)
nicht.
15. Kapitel
Als der Mai gekommen war, die Knospen sprangen, ich in Heinrich-Heine-Stimmung war, bester Laune und voller Energie und Tatendrang, gab es kaum einen Tag, an dem ich nicht etwas mit Monique unternommen hätte. Wir ließen kein Konzert der Thomaner aus, besuchten Galerien, Museen, Theater und Opernvorstellungen. Und waren ständig im Kino. Zum Glück teilte meine Frau meine cineastische Besessenheit. Weitgehend. Hin und wieder mussten sie auch etwas für ihr Studium tun, aber sie liebte die Literatur und las ohnehin in jeder freien Minute, sofern sie bei meiner Hyperaktivität noch eine solche hatte. Aber ohne Mühe schaffte sie dennoch einen Abschluss mit guten Ergebnissen. Wir schöpften alle kulturellen Möglichkeiten aus. Im Deutschen Theater wurden wir Stammgäste. Mein Onkel ließ bei seinen Besuchen mehr als einmal ein Zwanzig DM-Schein in meine Tasche wandern, wahrscheinlich Bestechungsgeld vom Klassenfeind. Und er hatte Erfolg. In der ersten Vergangenheit hatte ich mit diesem Geld Schallplatten im Intershop erworben, einer Verkaufsstelle, in der man nur mit Devisen Waren, die größtenteils aus westlicher Produktion stammten, kaufen konnte. Diesmal hatte ich keine moralischen Skrupel mehr und tauschte die erhaltenen Scheine schwarz im Verhältnis 1:5 oder manchmal sogar 1:6 gegen DDR-Mark um, und konnte nun bei den geringen Lebenshaltungskosten mit Monique ein bourgeoises Leben führen. Anfang Juni fiel mir aber ein, dass irgendetwas fehlte, irgendetwas anders war, als beim ersten Mal. Nach kurzem Überlegen fiel es mir ein. Ich hatte Anfang des Jahres noch darüber nachgedacht und mir einen Plan zurechtgelegt. Aber wie schon so oft fiel mein Plan ins viel zitierte Wasser. Ich bekam keine Einladung. Anfang Juni meines ersten Lebens hatte ein Zettel in meinem persönlichen Brieffach der Sektion gesteckt, auf dem die kurze Mitteilung stand, dass am nächsten Abend eine interne Bereichssitzung stattfinden würde, an der die Teilnahme obligatorisch wäre. Der Termin sei darüber hinaus vertraulich zu behandeln. Ich hatte mit dieser Nachricht nicht viel anfangen können, zumal ich eine halbe Stunde zuvor mit dem stellvertretenden Bereichsleiter ein Gespräch hatte und dieser keinerlei Andeutungen machte, dass wir uns am nächsten Abend zu einem dienstlichen Treffen wiedersehen würden. Ich rief meinem Freund Tommy an und erzählte ihm von dieser mysteriösen Ansetzung einer Bereichssitzung ohne inhaltliche Angaben. „Ich habe eine solche Einladung oder besser – eine solche Aufforderung nicht bekommen“, meinte er unsicher.
Du musst mir unbedingt erzählen, was es so Wichtiges im internen Kreis zu besprechen gab.“ “Natürlich werde ich das. Wir sehen uns ja sowieso übermorgen zum Mittag in der Mensa. Dann erstatte ich dir Bericht.“ Um die genannte Stunde fand ich mich in den Bereichsräumen ein, die Etage der Sektion war verwaist, selbst die Sekretärinnen waren längst am heimischen Herd. An der abendlichen Sitzung nahmen vierzehn Personen teil, zwei Professoren, einige Dozenten und Assistenten, davon drei aus anderen Bereichen. Wir hatten alle Schreibblöcke auf dem Schoß und warteten auf die Eröffnung der Sitzung. Der Bereichsleiter schaute auf die Uhr, eine Minute vor 18.00 Uhr betrat ein großer, hagerer Mann Anfang fünfzig in einem korrekt sitzenden blauen Anzug den Raum. Er wurde durch den Bereichsleiter per Handschlag begrüßt. Die Tür wurde geschlossen und der Bereichsleiter ergriff das Wort: „Ich danke euch, dass ihr alle zu dieser etwas ungewohnten Stunde zu unserer außerplanmäßigen Zusammenkunft erschienen seid. Es geht heute nicht um die Belange unseres Bereiches oder der Sektion, wir haben wir ihr seht, auch drei Kollegen anderer Sektionen, der Psychologie und der Soziologie, eingeladen, sondern es handelt sich um die Erfüllung eines wichtigen Auftrages der Regierung unseres Landes. Wir haben einen Gast, den ich euch vorstellen möchte und der euch alles Weitere erklären wird. Es handelt sich um Oberst… (den Namen, den er nannte, habe ich vergessen, es war ein Allerweltsname wie Müller, Schulz oder Schmidt), vom Ministerium für Nationale Verteidigung in Berlin, der dort eine Sonderabteilung leitet.“ Der Offizier ohne Uniform schien einen Stock verschluckt zu haben. Er nickte dankend und ergriff das Wort.
Er sprach uns mit „Genossen“ an, obwohl nicht alle der Anwesenden Mitglieder der SED waren. Aber er hatte sich wahrscheinlich an seinen
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