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Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition)

Titel: Die geheimnisvolle Sanduhr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Tenner
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wurde, ihr einen Vers einzuschreiben. Natürlich las sie alle Sprüche des Albums und stieß auch auf meinen Eintrag. Ich hatte keineswegs mit zwölf Jahren subversive Absichten, sondern hatte als Frühreifer und Geschichtsinteressierter und vor allem als jemand, der sich als kleiner Individualist fühlte, einfach jenen Aphorismus aus dem alten Poesiealbum meines Vaters abgeschrieben, der mir am wenigstens kindisch und kitschig, sondern ungeheuer weise erschien: Tue nie das, was die Menge von dir denkt, sondern das, was du für Recht hältst, verachtest du ihr Lob, so verachtest du auch ihren Tadel.
    Ich hatte damit aber offenbar keine gute Wahl getroffen. Elitäres bürgerliches Denken lautete das kritische Urteil der Klassenleiterin. Warum ein altgriechischer Mathematiker und Philosoph bürgerlich gewesen sein soll, leuchtete mir nicht ein. Aber das Urteil, dass eine gewisse Distanz zum kollegialen Handeln zum Ausdruck käme, war so falsch natürlich nicht. Ich stand ohnehin unter genauer und kritischer Beobachtung. Ich hatte nämlich einen Ritterclub gegründet, dem sieben meiner Klassenkameraden beitraten, einen Club mit festen Regeln und zweimal wöchentlich stattfindenden Treffen. Bei diesen Treffen stand Fechten mit Holzschwertern auf der Tagesordnung, Kostüme und Helme wurden angefertigt und das Leben der alten Rittersleute gründlich studiert. Eine Initiative, die nicht von der Pionierorganisation oder der FDJ ausging und daher großes Misstrauen erregte. Das Fass brachte ich zum Überlaufen, als man bei einer Taschenkontrolle einen alten Karl May Band in meiner Tasche entdeckte, „Winnetou I“, der sofort konfisziert wurde. Solche Taschenkontrollen, heute würde man Rasterfandung sagen, fanden in unregelmäßigen Abständen und ab Anfang der 70er Jahre nur noch bei begründetem Verdacht statt. Man suchte keine Waffen oder Drogen, die spielten erst über zwanzig Jahre später in einem anderen System eine Rolle, sondern die Suche galt westlicher Konterbande, speziell den gefährlichen „Mickey-Mouse-Heften“ oder bei den höheren Klassen der „Jerry-Cotton-Reihe“. Ich nahm sonst keine Bücher und schon gar nicht westliche Presseerzeugnisse mit in die Schule, aber diesmal musste ich einfach eine Ausnahme machen. Ich hatte die halbe Nacht hindurch per Taschenlampe im Bett gelesen, war aber nicht bis zum Ende gelangt, in der Pause wollte ich die letzten vierzig Seiten lesen. Bevor ich dazu kam, erfolgte die Kontrolle, die bei mir fündig wurde. Die Klassenleiterin bekam ein Leuchten in den Augen, die Pausbacken strahlten noch rötlicher als gewöhnlich. Ich sah sogar eine Art Lächeln in ihrem Gesicht, wahrscheinlich, weil der Tag so ergiebig war und sie in ihrem Urteil über meine Person bestätigt worden war. Sie drängte mich zu einer Stellungnahme vor der gesamten Klasse, warum ich so einen verfemten bürgerlichen Schriftsteller überhaupt lesen würde und dazu noch während der Schulzeit.
    Ich war ein glühender Verehrer von Karl May und hatte für einen Zwölfjährigen gar keine schlechte Verteidigung, da ich die Biographie und andere Literatur über sein Leben und Überzeugungen gelesen hatte. Als später, Anfang der 80er Jahre, die Rehabilitation dieses großen pazifistischen Schriftstellers in der DDR stattfand, fühlte ich mich in meinem kindlichen Urteil bestätigt. Aber die Lehrerin kannte die Zukunft nicht und wusste noch nichts von den großen ideologischen Umbewertungsprozessen der späten DDR-Jahre, als man Friedrich den Großen, Martin Luther und auch Friedrich Nietzsche wieder auf das Podest hob und ihre Lebensläufe und Werke im Sinne der eigenen Geschichtssicht umschrieb und interpretierte. Womit die Lehrerin nicht gerechnet hatte, war das Rückgrat meines Vaters, er holte sich nicht nur seinen aus Kindertagen stammenden „Winnetou“ zurück, sondern brach quasi eine zivilcouragierte Lanze für unseren Ritterclub. Das praktische Geschichtsinteresse der Schüler sei doch eine positive Angelegenheit, sie spielten nicht nur, sondern bauten Modellburgen, schneiderten Kostüme und bastelten Zubehör, mehrere Fähigkeiten würden dabei gleichzeitig ausgeprägt. Man sollte solche Initiativen nicht kritisieren, sondern unterstützen. Dies teilte er auch dem Direktor mit. Und es geschah ein Wunder. Es wurde eine Arbeitsgemeinschaft „Mittelalter“ gegründet, wir durften dort offiziell unsere Modelle von Burgen und Dörfern bauen und später sogar zu Leistungsschauen präsentieren, wir

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