Die Gehorsame
noch bemühte ich mich sehr zu gehorchen, Positionen gut einzunehmen, mich zu entspannen, ganz gleich, was mit mir gemacht wurde. Margots Satz »Das System ist dein Herr« hallte in meinem Kopf wider. Ich dachte aber auch an sie und fragte mich, ob ich sie wohl wiedersehen würde.
Dann, am späten Nachmittag des fünften Tages, dem Abend vor der Auktion, warfen sie mich richtig aus der Bahn. Mein Armband führte mich vom Studio zurück zu meinem Zimmer, und dort lag ein Kleid auf dem Bett. Es gehörte mir, ein graugrünes Wollkleid, eigentlich nur eine lange, durchgeknöpfte Strickjacke, eines der hübschen Kleider, die Jonathan für mich gekauft hatte. Auch meine Schuhe standen neben dem Bett. Strümpfe lagen dort, ein Strumpfgürtel und schöne Unterwäsche von Victoria’s Secret. Alles in tiefem, rauchigem Grau. In meinem ganzen Leben hatte ich so etwas noch nicht getragen – vor Jonathan hatte ich Baumwollschlüpfer im Dreierpack gekauft, und als ich dann bei Jonathan war, hatte ich selbstverständlich gar keine Unterwäsche getragen. Sie hatten mir sogar meine Armbanduhr zurückgegeben. Wollten sie mich hinauswerfen? Soweit ich wusste, hatte ich doch nichts falsch gemacht.
Ich geriet in Panik. Auf dem Bett lag eine nicht unterschriebene Nachricht.
Nimm dein Halsband ab. Dusche, ziehe dich an und schminke dich. Das Argusauge zeigt dir, wohin du gehen sollst.
Ich hatte noch nie ein Halsband abgenommen. Meine Hände zitterten, als ich es tat, dabei war es ganz leicht, nur Schnallen. Sie wollten mich bestimmt hinauswerfen. Ich ging in das kleine Badezimmer und duschte lange, tat alle die Dinge für mich selbst, die normale Leute eben tun. Ich konnte mich kaum noch daran erinnern. Beim Make-up fühlte ich mich ziemlich unbeholfen, aber ich sah gut aus, fand ich, als ich mich fertig geschminkt hatte. Ich fühlte mich benommen, verwirrt, betrogen. Ich hatte mich so sehr bemüht. Was hatten sie nur von mir gewollt, was ich ihnen nicht gegeben hatte? Es lag bestimmt an dem kurzen Blickwechsel mit ABSICHTLICH UNGEHORSAM , dachte ich. Zerstreut lief ich im Zimmer hin und her und wartete auf das Signal an meinem Armband.
Als es summte, eilte ich zum Argusauge und machte mich auf den Weg. Dieses Mal war es ziemlich kompliziert mit zahlreichen Abbiegungen, endlose Korridore entlang. Einmal verirrte ich mich sogar und musste ein anderes Argusauge konsultieren. Aber Margot hatte recht gehabt – man konnte sich an diesem Ort nicht wirklich verirren. Schließlich ging ich eine Treppe hinauf. Langsam kam ich mir vor wie in einem Computerspiel, und ich hätte es eigentlich genießen können, wenn ich nicht so panische Angst gehabt hätte.
Auf dem letzten Korridor schienen sich nur Büros zu befinden. Eine sehr hübsche Frau in Jeans und einem Sweatshirt mit der Aufschrift ORACLE warf mir einen neugierigen Blick zu, als ich auf meinen hohen Absätzen vorbeistöckelte. Hier muss es ein, dachte ich und ging zum Argusauge, das mitten im Flur neben einer offenen Bürotür hing.
Ich schwenkte mein Armband und war nicht überrascht, als ich Margots Stimme aus dem Büro hörte. Ich war außer mir vor Entzücken und Angst. »Komm herein«, sagte sie barsch. Sie blickte kaum von ihrem Monitor auf, als ich eintrat. »Ich bin gleich fertig«, sagte sie. Ihre Stimme klang distanziert, zerstreut. »Setz dich.«
Typisch, dachte ich, ich gerate immer an die Zwanghaften. Und obwohl ich Angst hatte, war ich auch ein bisschen sauer und fühlte mich vernachlässigt. Ich setzte mich auf einen Holzstuhl und blickte mich in dem kargen kleinen Büro um. Verschiedene Computer, ein Drucker und ein paar andere Geräte, die ich nicht kannte. Ordentliche Papierstapel und viele Handbücher. Nur wenige andere Bücher – Foucault, Fourier, der Band von de Sade, der Justine enthielt. In einem kleinen Alkoven stand ein abgenutztes Ledersofa, über dessen Armlehne eine gefaltete Decke lag. An den Fenstern waren keine Vorhänge, und ich sah den schwarzen Nachthimmel, ein paar Sterne und die fernen Lichter der Stadt.
Sie hauchte ein triumphierendes »Jaaa«, drückte eine Taste, die einen komplizierten geometrischen Bildschirmschoner in Gang setzte und warf mir einen Blick über die Schulter zu. Ihren Arm legte sie über die Rückenlehne ihres Stuhls. Ich vergaß meine Angst. Sie trug ihre Lederhose mit einer schwarzen Seidenbluse und großen silbernen Loops in den Ohrläppchen. Und sie grinste über meine Verwirrung, mein Unbehagen und mein wildes
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