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Die Geier

Die Geier

Titel: Die Geier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joel Houssin
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Dolche im Mund
    anfühlen ließ. Er erinnerte sich an jede Sekunde, an je-
    den Handgriff von Pamela Sirchos' Operation. Diese
    Herzklappe hätte dem Druck standhalten müssen. Nie
    zuvor hatte er derart widerstandsfähige Nähte ange-
    bracht. Er konnte sich ein Scheitern einfach nicht vor-
    stellen. Normalerweise fügte sich der Chirurg dem
    Schicksal, diesem beinahe unbegreiflichen Prozentsatz
    an Todesfällen. >Steinerne Herzen<, Abstoßungen - er akzeptierte einen gewissen Prozentsatz an Verlusten,
    die man lakonischerweise in den Archiven aufbewahrte,
    ohne sie jemals wirklich analysieren zu können.
    Am Anfang seiner Karriere hatte er sich darüber em-
    pört, was er buchstäblich für Diebstahl hielt, für ein
    Eindringen des Todes auf sein Gebiet, für eine wahre
    Ungerechtigkeit. Bis er schließlich einsah, daß der Tod
    keine Regeln befolgte, daß es nach wie vor Geheimnisse
    gab, die man in den allzusehr gefüllten Katalog der > An-
    ästhesie-Toten« aufnahm. Auf dieser Stufe der medizi-
    nischen Erkenntnisse gab es keine Erklärungen mehr.
    Täglich, stündlich standen die Ärzte dem Unmöglichen
    gegenüber, vor Problemen, deren Lösung ihnen völlig
    unbekannt war.
    Der Star-Chirurg wie der einfache Landarzt, alle be-
    trieben letzten Endes das, was Armyan Simba scherz-
    haft >Magie der Versuchung< zu nennen pflegte, Ver-
    suchsmedizin. Blindlings hantierten sie im menschli-
    chen Körper und zerstörten dabei oft mehr, als sie wie-
    der reparieren konnten. Wenn Komplikationen auftra-
    ten, war Zorski stets der Meinung, es sei gescheiter, die
    Körper zu öffnen und nachzusehen, als Ungewisse Dia-
    gnosen zu stellen.
    Trotz dieser Geheimnisse, die Legionen von Wissen-
    schaftlern zu lüften versuchten, war Zorski felsenfest
    davon überzeugt, daß Pamela Sirchos' Herzklappe stark
    genug sein würde, um jeden Druck auszuhalten. Wahr-
    scheinlich hatte Hugo Russel sich geirrt. Eine andere
    Erklärung gab es für ihn nicht.
    Eine halbe Stunde später mußte Zorski sich den Tat-
    sachen beugen: Russel hatte sich nicht geirrt. Die Herz-
    klappe hatte sich tatsächlich verschoben, und Pamelas
    Herz drohte zu zerreißen. Unverzüglich ließ Zorski
    Aderpressen an den Armen und Beinen der jungen
    Frau anbringen, doch er wußte ganz genau, wie nahe sie
    dem Tod war.
    Russel und das Krankenpersonal erwarteten ihn in
    der Bibliothek der Villa.
    »Das Geräusch hat sich leicht verändert«, erklärte er
    in knappen Worten und legte seinen Aktenkoffer auf
    den Bridgetisch. »Das Gewebe hat nachgegeben. Eine
    Herzbeutelblutung. Der Blutdruck ist auf unter dreißig
    Prozent gefallen.«
    Er vermeinte, alle Anwesenden seufzen zu hören.
    Alle, mit Ausnahme von Russel, der längst wußte, was
    der Chirurg soeben erklärt hatte. An ihn wandte sich
    Zorski nun.
    »Was halten Sie von der Sache?«
    Trotz seiner Verwirrung fühlte Russel sich irgendwie
    geschmeichelt von der ihm entgegengebrachten Auf-
    merksamkeit.
    »Wir können nicht mehr allzuviel für sie tun«, mur-
    melte er.
    Zorski schüttelte den Kopf.
    »Es ist zu spät«, flüsterte er. »Während wir noch Ana-
    lysen vornehmen und nach einer letzten Rettungsmög-
    lichkeit suchen, ist Pamela Sirchos längst gestorben.
    Seit drei Jahren führe ich keine Herztransplantationen
    mehr durch. Der Prozentsatz an Mißerfolgen ist einfach
    zu groß.«
    Er sank in einen mit grellrotem Samt bespannten Ses-
    sel.
    »Ich glaube, daß .. . « , flüsterte er.
    Er beendete seinen Satz nicht. Nun hatten alle begrif-
    fen, was los war.
    Als es hell wurde, sah man das ganze Ausmaß der Kata-
    strophe. Ein schmutziger Tag begann, ein Tag, so grau
    wie die Trümmer, in denen die Sammler, Sanitäter und
    Feuerwehrmänner herumwühlten.
    Die sowjetische Botschaft war bis auf die Grundmau-
    ern niedergebrannt, der Nord- und der Ostflügel waren
    eingestürzt und hatten die Toten und Verletzten unter
    tonnenschwerem brennenden Schutt begraben. Die pri-
    vilegierte Lage des Gebäudes hatte verhindert, daß das
    Feuer auf die benachbarten Häuser übergreifen konnte,
    doch sämtliche Häuser auf der gegenüberliegenden
    Straßenseite trugen die Spuren des erbitterten Kampfes,
    den die Soldaten der Cristal-Truppe und die Elitekämp-
    fer der G.I.G.N. sich drei Stunden lang geliefert hatten.
    Die Geschosse hatten die Fassade durchlöchert, die ele-
    gante Architektur zerstört, die Fensterscheiben waren
    zerbrochen, die Bäume verkohlt ... Noch immer stieg
    grauer Rauch aus den Ruinen

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