Die Geier
Dolche im Mund
anfühlen ließ. Er erinnerte sich an jede Sekunde, an je-
den Handgriff von Pamela Sirchos' Operation. Diese
Herzklappe hätte dem Druck standhalten müssen. Nie
zuvor hatte er derart widerstandsfähige Nähte ange-
bracht. Er konnte sich ein Scheitern einfach nicht vor-
stellen. Normalerweise fügte sich der Chirurg dem
Schicksal, diesem beinahe unbegreiflichen Prozentsatz
an Todesfällen. >Steinerne Herzen<, Abstoßungen - er akzeptierte einen gewissen Prozentsatz an Verlusten,
die man lakonischerweise in den Archiven aufbewahrte,
ohne sie jemals wirklich analysieren zu können.
Am Anfang seiner Karriere hatte er sich darüber em-
pört, was er buchstäblich für Diebstahl hielt, für ein
Eindringen des Todes auf sein Gebiet, für eine wahre
Ungerechtigkeit. Bis er schließlich einsah, daß der Tod
keine Regeln befolgte, daß es nach wie vor Geheimnisse
gab, die man in den allzusehr gefüllten Katalog der > An-
ästhesie-Toten« aufnahm. Auf dieser Stufe der medizi-
nischen Erkenntnisse gab es keine Erklärungen mehr.
Täglich, stündlich standen die Ärzte dem Unmöglichen
gegenüber, vor Problemen, deren Lösung ihnen völlig
unbekannt war.
Der Star-Chirurg wie der einfache Landarzt, alle be-
trieben letzten Endes das, was Armyan Simba scherz-
haft >Magie der Versuchung< zu nennen pflegte, Ver-
suchsmedizin. Blindlings hantierten sie im menschli-
chen Körper und zerstörten dabei oft mehr, als sie wie-
der reparieren konnten. Wenn Komplikationen auftra-
ten, war Zorski stets der Meinung, es sei gescheiter, die
Körper zu öffnen und nachzusehen, als Ungewisse Dia-
gnosen zu stellen.
Trotz dieser Geheimnisse, die Legionen von Wissen-
schaftlern zu lüften versuchten, war Zorski felsenfest
davon überzeugt, daß Pamela Sirchos' Herzklappe stark
genug sein würde, um jeden Druck auszuhalten. Wahr-
scheinlich hatte Hugo Russel sich geirrt. Eine andere
Erklärung gab es für ihn nicht.
Eine halbe Stunde später mußte Zorski sich den Tat-
sachen beugen: Russel hatte sich nicht geirrt. Die Herz-
klappe hatte sich tatsächlich verschoben, und Pamelas
Herz drohte zu zerreißen. Unverzüglich ließ Zorski
Aderpressen an den Armen und Beinen der jungen
Frau anbringen, doch er wußte ganz genau, wie nahe sie
dem Tod war.
Russel und das Krankenpersonal erwarteten ihn in
der Bibliothek der Villa.
»Das Geräusch hat sich leicht verändert«, erklärte er
in knappen Worten und legte seinen Aktenkoffer auf
den Bridgetisch. »Das Gewebe hat nachgegeben. Eine
Herzbeutelblutung. Der Blutdruck ist auf unter dreißig
Prozent gefallen.«
Er vermeinte, alle Anwesenden seufzen zu hören.
Alle, mit Ausnahme von Russel, der längst wußte, was
der Chirurg soeben erklärt hatte. An ihn wandte sich
Zorski nun.
»Was halten Sie von der Sache?«
Trotz seiner Verwirrung fühlte Russel sich irgendwie
geschmeichelt von der ihm entgegengebrachten Auf-
merksamkeit.
»Wir können nicht mehr allzuviel für sie tun«, mur-
melte er.
Zorski schüttelte den Kopf.
»Es ist zu spät«, flüsterte er. »Während wir noch Ana-
lysen vornehmen und nach einer letzten Rettungsmög-
lichkeit suchen, ist Pamela Sirchos längst gestorben.
Seit drei Jahren führe ich keine Herztransplantationen
mehr durch. Der Prozentsatz an Mißerfolgen ist einfach
zu groß.«
Er sank in einen mit grellrotem Samt bespannten Ses-
sel.
»Ich glaube, daß .. . « , flüsterte er.
Er beendete seinen Satz nicht. Nun hatten alle begrif-
fen, was los war.
Als es hell wurde, sah man das ganze Ausmaß der Kata-
strophe. Ein schmutziger Tag begann, ein Tag, so grau
wie die Trümmer, in denen die Sammler, Sanitäter und
Feuerwehrmänner herumwühlten.
Die sowjetische Botschaft war bis auf die Grundmau-
ern niedergebrannt, der Nord- und der Ostflügel waren
eingestürzt und hatten die Toten und Verletzten unter
tonnenschwerem brennenden Schutt begraben. Die pri-
vilegierte Lage des Gebäudes hatte verhindert, daß das
Feuer auf die benachbarten Häuser übergreifen konnte,
doch sämtliche Häuser auf der gegenüberliegenden
Straßenseite trugen die Spuren des erbitterten Kampfes,
den die Soldaten der Cristal-Truppe und die Elitekämp-
fer der G.I.G.N. sich drei Stunden lang geliefert hatten.
Die Geschosse hatten die Fassade durchlöchert, die ele-
gante Architektur zerstört, die Fensterscheiben waren
zerbrochen, die Bäume verkohlt ... Noch immer stieg
grauer Rauch aus den Ruinen
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