Die Geier
Wände und rie-
sigen Glasfenster ließen es wie ein verrücktes Solarium
wirken, in dem das Licht so grell war, daß Zorski beim
Eintreten beinahe das Gleichgewicht verlor. Alexander
Sirchos saß hinter einem halbrunden Aluminium-
schreibtisch. Er erhob sich nicht, um den Chirurgen zu
begrüßen, sondern fragte ohne Umschweife:
»Können Sie Pamela noch retten?«
Zorski schaute sich vergeblich nach einem Stuhl um.
Eine sonderbare Methode, seinen Gesprächspartnern
keine Sitzgelegenheit anzubieten.
»Ich glaube nicht«, antwortete der Chirurg mit ruhi-
ger Stimme.
Der Milliardär mußte diese Antwort erwartet haben,
denn er zeigte keinerlei Verwunderung. Seine metalle-
nen Augen starrten Zorski mit grauenhafter Unbe-
weglichkeit an.
»Wann ist es soweit?« fragte er, genauso als erkun-
digte er sich nach der Startzeit seines nächsten Flug-
zeugs.
Zorski zuckte mit den Schultern. Der Southern Com-
fort und das Aufputschmittel hatten seinen Mund völlig
ausgetrocknet.
»Wäre ihr Herz weniger schwach, so könnte ich ihr
Leben um fünf oder zehn Monate verlängern. In ihrem
jetzigen Zustand wird sie keine zwei Wochen mehr
überleben.«
Der nüchterne Ton der Unterhaltung inmitten dieses
grellen Lichts verlieh der Szene einen gänzlich irrealen
Aspekt, den der Chirurg allerdings auf seine Erschöp-
fung zurückführte.
»Warum wagen Sie keine Transplantation?«
Mark Zorski schüttelte den Kopf.
»Darf ich Platz nehmen?« fragte er.
Zu seiner großen Überraschung erhob sich Alexander
Sirchos und bat den Chirurgen, in seinem Schreibtisch-
sessel Platz zu nehmen. Einen Moment lang zögerte
Zorski, ehe er sich setzte. Der Milliardär begann in sei-
nem Büro auf und ab zu gehen - ein Verhalten, das trotz
seines undurchdringlichen Gesichtsausdrucks eine ge-
wisse Nervosität verriet. Es war das erste Mal, daß
Zorski sah, wie der Milliardär ungeduldig und unruhig
wurde.
»Wir haben alle erforderlichen Analysen mit Ihrer
Frau durchgeführt, vor allem im Hinblick auf ihre Anti-
gene im Falle einer Transplantation. Noch kennen wir
nicht alle Besonderheiten der weißen Blutkörperchen,
aber wir sind jetzt in der Lage, annähernde Prognosen
aufzustellen. Im Fall Ihrer Frau gibt es drei verschiedene Möglichkeiten der Genpaarung. In den Fällen C und D
wären wir gezwungen, ihr ein eher schwaches und un-
stabiles Herz einzusetzen, was den Tod von Frau Sir-
chos wenige Tage oder Wochen nach dem Eingriff be-
deuten würde. Mit neunzigprozentiger Sicherheit käme
es zu einer Organabstoßung.«
Sirchos blieb stehen und runzelte die Stirn angesichts
dieser erschreckend hohen Zahl. Offensichtlich fragte er
sich, ob der Chirurg nicht absichtlich den Teufel an die
Wand malte.
»Im Fall B«, fuhr Zorski fort, »ist das Transplantat
stärker, und die Erfolgsaussichten stehen besser, auch
wenn sie die zwanzig Prozent nicht übersteigen. Um so
mehr, da wir bereits feststellen konnten, wie empfind-
lich Ihre Frau auf Transfusionen von immunisiertem
Blut reagiert.«
Bevor er mit seinen Erklärungen abschloß, zögerte er
einen Moment lang.
»Wir müssen auf eine Transplantation verzichten.«
»Den Fall A haben Sie gar nicht erwähnt«, bemerkte
Sirchos.
»Der Fall A setzt das Vorhandensein eines geneti-
schen Zwillings voraus. Eines richtigen Zwillings. In
der Herzchirurgie wurde ein solches Experiment bis
heute noch nie versucht. Ich nehme an, Sie verstehen,
warum.«
Der Chirurg konnte das grelle Licht in diesem Sola-
rium-Büro kaum mehr ertragen. Nervös blinzelte er mit
den Augen und spürte, wie ein dumpfes Kopfweh sich
hinter seinen Schläfen ausbreitete.
»Haben Sie nicht unlängst einen längeren Artikel
über das Problem der genetischen Zwillinge verfaßt?«
fragte der Milliardär. »Über Beispiele wahrer Leukozy-
ten-Doppelgänger. Sie behaupten darin sogar, daß die
Patienten, an denen in den sechziger Jahren die ersten
Transplantationen vorgenommen wurden und die
manchmal mehr als dreißig Jahre überlebten, wahr-
scheinlich in diese Kategorie gehören, die Sie als fal-
sche echte Zwillinge< bezeichnen.«
Bislang hatte Sirchos nie den geringsten Anschein
gegeben, medizinische Fachkenntnisse zu besitzen.
Seine Bemerkungen überraschten den Chirurgen, denn
der Artikel, von dem er sprach, war vor vier Jahren in
einer nur in Fachkreisen bekannten Zeitschrift mit dem
Namen Cardiovascular Research Center Bulletin erschienen. In der Tat war die
Weitere Kostenlose Bücher