Die Geier
Leber der Blutgruppe AB negativ
angeboten. Haben sie dir diese Leber etwa vor der Nase
weggeschnappt?«
David schnitt eine Grimasse.
»Nein, nicht ganz. Der Mann trug eine Plakette.«
Gaborit sah den Sammler an.
»Ich verstehe«, murmelte er nach einer Weile.
David nahm sich einen Stuhl und setzte sich.
»Loic, ich habe da noch was. Einen ganzen Körper mit
Nackenbruch und eine Menge anderer interessanter
Dinge ...«
Gaborit lehnte sich nach hinten und blies eine blaue
Rauchwolke in den Raum.
»Ich habe keinen Zugang mehr zur Lagerabteilung.«
David schien überrascht.
»Seit wann?«
»Seit drei Tagen«, seufzte der Arzt. »Ein Entschluß
der Direktion. Diese Abteilung steht fortan unter der
Kontrolle der Verwaltung. Abgesehen von der Unfall-
station, wo ich glücklicherweise weiterhin das Sagen
habe, habe ich mit der Organaufnahme im Saint-Louis
nichts mehr zu tun. Es tut mir leid, David.«
»Steve Odds?« zischte David.
Gaborit zuckte mit den Schultern.
»Keine Ahnung. Gewisse Chirurgen des Hospitals
haben ihre diesbezüglichen Vorrechte verteidigen
können, und sie alle arbeiten ausschließlich mit der
Z.S.A. zusammen.«
Toland schlug kräftig mit der Faust auf den Schreib-
tisch.
»Das verstößt gegen die Charta! Diesmal geht's aber
wirklich zu weit! Du könntest dich an den Ausschuß
wenden ...«
Gaborit lächelte gelangweilt.
»Es steht jedem Hospital völlig frei, Organe zur Lage-
rung aufzunehmen oder nicht. Es gibt keine Vorschrif-
ten über die Quantität, die von den Unabhängigen und
den Mitgliedern der Z.S.A. geliefert wird. Und nicht ich
bin es, der sich dieses verfluchte Gesetz ausgedacht
hat.«
David war nach wie vor wütend.
»Aber wenn wir uns das gefallen lassen, wird man
sich in zwei Wochen oder in einem Monat nicht einmal
mehr in Notfällen an uns wenden. Sie werden die
Charta ganz einfach umgehen und behaupten, die Or-
gane, die wir abliefern, seien unbrauchbar. Das ist das
Ende für die Unabhängigen.«
»In unserem Hospital wird es sicher nicht so weit
kommen.«
»Das meinst du!« unterbrach ihn David und erhob
sich. »Wenn die Z.S.A. eine Blockade über das Saint-
Louis verhängt, werden sich die Patienten anderswo
behandeln lassen, in anderen Spitälern, die von der
Gewerkschaft beliefert werden, und dich wird man feu-
ern, Loic! Dich werden sie ganz einfach auf die Straße
setzen, egal wie gut du als Chirurg bist.«
Gaborit legte die Hände zusammen und beugte sich
ein wenig nach vor.
»Du irrst dich, David. In unserem Beruf existiert noch
so etwas wie ein Orden, es gibt einen Eid. Und auch
wenn dies nicht immer respektiert wird, so halten sich
zumindest die großen Mediziner dieser Welt daran. Sie
werden nicht zulassen, daß ein Sammlermonopol ent-
steht.«
David lachte höhnisch.
»Bis es soweit ist, bin ich längst ruiniert. Meine Geräte
wird man beschlagnahmen, und keine einzige Bank
wird mir einen Kredit gewähren. Und so heftig sich
dein verdammter Orden auch beschwert, auf dem gan-
zen Markt wird es nur mehr einen einzigen Lieferanten
geben: Steve Odds und seine Geier.«
Der Chirurg erhob sich langsam aus seinem Sessel.
»Ich muß noch schnell bei einigen Kranken vorbei-
schauen. Ich möchte, daß du mich begleitest.«
Stefan saß auf der dreckigen Klobrille und weinte. Er
weinte hemmungslos und ließ die Tränen über das auf-
gedunsene Gesicht laufen. Nervös zerknüllten seine
Wurstfinger das Pappröhrchen einer Klopapierrolle. Of-
fensichtlich hatte er schon wieder einem Mädchen den
Kopf eingeschlagen. Er hatte es nicht tun wollen. Er
hatte sich ihr nur genähert, um sie besser anschauen, sie
vielleicht kurz berühren zu können. Sie war so hübsch.
Er wollte sie streicheln, sie in seine Arme nehmen, da-
mit sie sich nicht schmutzig machte. Sein Verlangen
war so groß, daß er jedesmal vergaß, wie er das anstel-
len sollte.
Als sie ihn sah, begann sie laut zu schreien. Sie hätte
nicht schreien dürfen. Vito würde es doch hören. In
dem Moment erwachte das Ding, das in Stefans Bauch
schlief. Mamas Lieblingssohn streckte die Arme aus, um
dem Mädchen verständlich zu machen, daß es nicht
schreien, nichts sagen, sich nicht in die Hose machen
durfte. Aber das Mädchen war dumm. Es schrie noch
lauter. Vito würde herbeigerannt kommen, laut schimp-
fen und seinen Bruder mit Füßen in den Bauch treten.
Und anschließend selbst mit dem Mädchen seinen Spaß
haben.
Stefan schnaubte
Weitere Kostenlose Bücher