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Die Geier

Die Geier

Titel: Die Geier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joel Houssin
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so als wollte es die verlorene Zeit wieder aufholen. Toland injizierte eine
    starke Dosis Digitoxin. Die Herzschläge wurden regel-
    mäßiger.
    Langsam, mit nachdenklicher Miene und angestreng-
    tem Blick richtete Toland sich wieder auf. Erst in diesem
    Augenblick wurde er sich der Menschenmenge bewußt,
    die sich um ihn herum versammelt hatte. In den Augen
    all dieser Fremden las er Bewunderung und wußte, daß
    er wieder einmal gewonnen hatte.
    Als sie erneut im Cherokee saßen, versuchte Roussel,
    ihn auf den Boden der Realität zurückzuholen.
    »Das Kind wird ein Idiot bleiben.«
    Der Anflug eines Lächelns huschte über Tolands Ge-
    sicht.
    »Ich dachte, du wüßtest, wie wichtig Publicity ist«,
    murmelte David und startete den Motor.
    Drittes Kapitel
    Im Saint-Louis-Flügel des Amerikanischen Hospitals
    surrte es wie in einem Bienenstock. Oftmals fragte sich
    David, wie das Personal es überhaupt schaffte, sich in
    einem solchen Durcheinander zurechtzufinden. Tagein
    tagaus herrschte dort eine wahnsinnige Hektik, und je-
    der, Ärzte wie Putzfrauen, schrie, um sich verständlich
    zu machen. Die Kranken, die in dieses Wirrwarr hinein-
    gerieten, hatten alle nur ein Ziel: schnellstens wieder
    hinauszukommen. Das Problem allerdings war, daß die
    meisten Patienten, die ins Saint-Louis eingeliefert wur-
    den, selten die Möglichkeit hatten, wieder rauszukom-
    men.
    Ein alter Mann im Rollstuhl lachte sich krumm, weil
    dieses Durcheinander ihn an die Bordelle in Saigon er-
    innerte. Gewisse Krankenhäuser glichen heiligen Stät-
    ten. Dort gab es nur gedämpfte Geräusche, Anweisun-
    gen wurden nur geflüstert. Man verhielt sich so, als be-
    fürchtete man, ein schlafendes, unglaubliches Unge-
    heuer zu wecken. Im Saint-Louis war das genaue Ge-
    genteil der Fall. Und jeder Angestellte verlor durch-
    schnittlich zwei bis drei Kilo an Gewicht pro Tag. Um
    hier nicht völlig durchzudrehen, mußte man Nerven
    aus Stahl haben.
    Am allerschlimmsten waren die Zustände in der Auf-
    nahmehalle, eine wahre Arena aus Schmerzen, Schrei-
    en, Rempeleien und Auseinandersetzungen mit den
    Verwaltungsangestellten. Nicht selten verprügelten
    sich die Kranken gegenseitig. In Spitzenzeiten ging es
    dort zu wie auf einem Jahrmarkt, wo die Tragbahren
    sich in Autoscooters verwandelten.
    Mit seiner Organliste in der Hand betrat David To-
    land diese wahnsinnige Arena. Die Hektik in der Auf-
    nahmehalle erschien ihm diesmal noch ungezügelter als
    bei früheren Besuchen. Immer mehr Opfer der Massen-
    karambolage wurden eingeliefert, hierhin überführt
    und hier aufgenommen. Dutzende von Krankenwagen
    sicherten die Verbindung zwischen der Unfallstelle und
    dem Amerikanischen Hospital. Im Nu wurden die
    Wandtelefone von Verletzten besetzt, die oft noch voller
    Blut waren. Krankenschwestern stießen Türen auf,
    rannten quer durch die Halle und verschwanden hinter
    weiteren Türen. Die Leute, die nie zuvor im Saint-
    Louis-Hospital waren, mußten einfach glauben, niemand
    würde sich je um sie kümmern, und sie müßten in die-
    ser Halle sterben, regelrecht verbluten. Aber David
    wußte, daß diese Panik nur täuschte. In Wirklichkeit
    verfügte das Saint-Louis über die beste Unfallstation in
    ganz Europa, niemand mußte hier infolge mangelnder
    Fürsorge sterben.
    Hinter den leicht vorspringenden dunklen Glaswän-
    den oberhalb der Halle lag der sogenannte >Untersu-
    chungsraum<, wo etwa ein Dutzend Assistenzärzte sich
    die Verletzungen ansah und die Verteilung der Kranken
    in die entsprechenden Abteilungen vornahm. Von Zeit
    zu Zeit kam einer von ihnen in die Halle herunter, ging
    auf einen Verletzten zu, nahm an Ort und Stelle einen
    Luftröhrenschnitt vor, beugte einem Blutsturz vor oder
    spritzte ein Kardiakum in die Venen des Verletzten, be-
    vor er ihn in eine der Operationsabteilungen führte. Die
    anderen mußten warten und begriffen nicht, daß diese
    Wartezeit mit dem Grad ihrer Verletzungen zusam-
    menhing. Wer im Saint-Louis zwei Stunden lang war-
    ten muß, ohne einen Arzt zu Gesicht zu bekommen,
    kann sicher sein, daß er noch am selben Abend völlig
    gesund nach Hause gehen darf. Die Patienten jedoch,
    um die man sich sogleich kümmerte - das waren nicht
    immer diejenigen mit den offensichtlichsten Verletzun-
    gen -, mußte man wirklich bedauern. Ihr Leben hing
    nur noch an seinem seidenen Faden.
    David betrat den Untersuchungsraum. Einige der
    Ärzte erkannten ihn wieder und grüßten ihn.
    »Ist Gaborit da?«
    »In

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