Die Geier
Zeigefinger tippte er auf die Brust seines
Bruders und verzog das Gesicht.
»Aber hör gut zu! Du wirst deinen abscheulichen
Freunden sagen, daß ich von ihnen verlange, daß sie
meinen Anweisungen aufs Wort gehorchen. Keine
Dummheiten, verstanden?«
»Verstanden ...«, flüsterte Vito.
»Setz dich, ich werde dir erklären, was zu tun ist.
Kennst du einen Kerl namens David Toland?«
Fünftes Kapitel
Der Computer hatte ein kleines Vermögen gekostet.
Doch David zog es vor, noch mehr Schulden zu ma-
chen, um sich das Gerät kaufen zu können, als mit ei-
nem gewöhnlichen Operator zu arbeiten. Übrigens er-
füllte der Computer seine Funktionen perfekt. Gemäß
einem von Toland ausgearbeiteten Programm sortierte
er die Informationen, schlüsselte sie auf und gab sie so-
fort in den Cherokee weiter. Die Auswahl traf er nach
dem geografischen Standpunkt des Wagens. Wenn Da-
vid unterwegs war, wies unverzüglich ein kurzer Pieps-
ton ihn darauf hin, daß auf dem Zeilendrucker am Ar-
maturenbrett eine Nachricht eingegangen war. Im Ver-
gleich zum Menschen hatte der Computer einen weite-
ren Vorteil, der für David von größter Wichtigkeit war:
der Computer war Tag und Nacht einsatzbereit.
Die Geier der Z.S.A. verfügten über eine riesige
Funkzentrale, die nach dem Schema einer Fernrufan-
lage für Taxifahrer funktionierte. Ihre Meldungen wa-
ren verschlüsselt, um zu verhindern, daß Unabhängige
ihren Sender abhören und von den Informationen pro-
fitieren konnten.
Auch Tolands Computer verschlüsselte die Mittei-
lungen. Von Zeit zu Zeit machte er - eine von Roussels
Ideen - auch falsche und zugleich witzige Durchsagen,
um die Blutsauger der Gewerkschaft und der Presse in
die Irre zu führen.
Es wurde Nacht. David und Roussel waren bei der
sechsten Klinik angelangt; sie hatten nur ein einziges
Auge absetzen sowie eine Herz-Lungen-Kombination
an einen unsympathischen Chirurgen verscherbeln
können, der zudem behauptete, eigentlich könnte er
nur die Arterien gebrauchen. Offensichtlich hatte die
Z.S.A. ihre Blockade auf weitere Kliniken ausgedehnt.
Der Druck wurde stärker.
»Bald sind wir gezwungen, sogar in der Provinz zu
verkaufen«, sagte Roussel verärgert.
»Dort ist es noch schlimmer. Dort wird alles von der
Gewerkschaft kontrolliert. Alle Unabhängigen lassen
sich in Paris nieder.«
Roussel seufzte und warf einen Blick in den Fond
des Cherokee.
»Und was tun wir mit dem ganzen Zeug?«
»Die Gebärmutter verkaufen wir ans Lilien-Hospital«,
erklärte David und konnte gerade noch einem zerstreu-
ten Fußgänger ausweichen. »Die werden dort immer
gebraucht ...«
Nach kurzer Überlegung fügte er hinzu: »Aber
warum zum Teufel lassen all diese Weiber ihre Bäuche
verfaulen? Antibiotika werden nicht mehr geschluckt,
man schmeißt das alte Organ einfach weg und setzt ein
neues ein!«
»Das Higgins-Syndrom«, erklärte Roussel. »Zwei
oder drei Wochen nach einer Geburt oder einer Abtrei-
bung entzündet sich die Gebärmutter und bewirkt eine
Verstopfung der Eileiter, die in wenigen Tagen ver-
kümmern. Gewöhnlich greift die Entzündung auch auf
die Milchdrüsen der Brüste über. Die Einnahme von
Antibiotika würde unverzüglich einen Uterusprolaps
verursachen ...«
David runzelte die Stirn.
»Was hat man sich denn darunter vorzustellen?«
»Der Uterus senkt sich in die Scheide. In Wirklichkeit
verkümmert die ganze Gebärmutter, und alles sackt ein.
Wenn die Entzündung dann endlich unter Kontrolle ist,
ist das Genitalsystem völlig ausgetrocknet und un-
fruchtbar. Es sieht ganz so als, als hätte die Natur plötzlich beschlossen, daß jede Frau nur noch ein einziges
Kind zur Welt bringen darf.«
»Das ist doch völlig verrückt«, entgegnete David.
»Und wie viele Frauen sind von dieser Schweinerei
betroffen?«
»Zwischen zehn und fünfzehn Prozent in den Indu-
strieländern, fast dreimal soviel in allen übrigen Län-
dern.«
Roussel kratzte sich am Kinn und betrachtete seinen
Fingernagel, als hoffte er, dort die Bestie ausfindig zu
machen, die ihn so juckte.
»Und die Transplantation? Hilft das diesen Frauen?«
Mit dem kleinen Finger, dessen Nagel unglaublich
lang war, begann Roussel, in seiner Nase herumzusto-
chern.
»Das weiß man noch nicht. Wir kennen das Higgins-
Syndrom erst seit fünf Jahren, und die erste Gebärmut-
tertransplantation liegt noch weniger lange zurück.«
David schüttelte den Kopf.
»Ich verstehe
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