Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Geier

Die Geier

Titel: Die Geier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joel Houssin
Vom Netzwerk:
könnte. Zorski besaß Macht. Und
    auf seinem Gebiet war er unbestreitbar der Beste.
    Aber Sirchos war dabei, auch ihn zu zerstören, mühe-
    los, so wie man ein lästiges Insekt, ein belangloses
    Wunder beseitigt. Russel hatte die in den Fachzeit-
    schriften erschienenen Artikel gelesen, die die Arbeit
    des berühmten Chirurgen kritisierten, und er zweifelte
    keinen Moment lang daran, daß Sirchos der Anstifter
    dieser Intrige war. Wie alle anderen würde auch Zorski
    sich dem Gesetz des Tyrannen beugen.
    Der Arzt gluckste, gab drei Eiswürfel in ein Glas und
    schenkte sich eine übermäßige Portion Scotch ein.
    »Wollen Sie sich betrinken?«
    Um ein Haar hätte Russel das Glas fallen lassen. Er
    drehte sich um und sah Pamela, die auf der obersten
    Treppenstufe stand und sich am Geländer festhielt. Sie
    trug ein atemberaubendes perlenbesticktes Neglige, das
    ihren nackten Körper wie ein morgendlicher Nebel-
    schleier umhüllte. Russel schluckte mühsam. Es war
    das erste Mal seit dem Verlassen des Krankenhauses
    und der Ankunft in der Villa, daß Pamela sich wieder
    geschminkt und ihre Haare zurechtgemacht hatte. Mit
    einem Mal sah der Arzt in ihr wieder die wunderbare
    Frau, die vor ihrer ersten Herzoperation sämtliche Titel-
    bilder der Modezeitschriften schmückte. Angesichts
    dieser überwältigenden Erscheinung fühlte er sich ge-
    radezu wie ein Vollidiot und war unfähig, Haltung zu
    bewahren.
    Pamela kam die Treppe herunter und näherte sich der
    Bar.
    »Ich habe Lust auf einen Gin-Tonic«, sagte sie fröh-
    lich. »Gönnt mein Leibarzt mir diese kleine Freude?«
    Mit stotternder Stimme gab Russel jenen wenig geist-
    reichen Satz zur Antwort, der ihm einige Sekunden
    zuvor entfallen war.
    »Viel Tonic und einige Tropfen Gin, das scheint mir
    durchaus vernünftig zu sein . . . «
    Pamela lächelte und trat deutlich näher an ihn heran.
    Sie trug vornehme blaue Pumps mit fein gekordelten
    schmalen Riemen um die Knöchel. Sie verströmte einen
    feinen leichten Duft.
    Es gelang Russel, sich diesem Bann zu entziehen, in-
    dem er hinter die Theke ging und ihr den Gin-Tonic
    einschenkte.
    Mit ihren lackierten Fingernägeln trommelte sie leise
    gegen sein Glas mit dem Scotch.
    »Finden Sie, daß das eine vernünftige Portion ist?«
    fragte sie eher liebenswürdig als ironisch.
    Er stellte ihr das Glas hin. Das prickelnde Getränk
    funkelte im meerblauen Neonlicht seltsam fluoreszie-
    rend.
    »Erzählen Sie mir ein wenig über sich«, murmelte sie.
    Russel riß die Augen auf.
    »Über mich?«
    »Woher stammt Ihr Vorname?«
    Der Arzt zuckte mit den Schultern.
    »Ich glaube, meine Großmutter war ungarischer Her-
    kunft.«
    »Hugo ...«
    Mit zusammengeschnürter Kehle hob Russel den
    Kopf.
    »Ich möchte mit Ihnen schlafen.«
    Einundzwanzigstes Kapitel
    Inspektor Mescard schien sich absolut nicht mehr daran
    zu erinnern, warum er Mustapha Moussi ins Präsidium
    bestellt hatte. Er wühlte in seinen Papieren herum und
    fluchte leise vor sich hin, während Mouss ihm verwirrt
    zuschaute. Was war das bloß für ein Polizist? Einer aus
    einer amerikanischen Fernsehserie? Plötzlich schlug
    Mescard sich an die Stirn, eilte zu einem Metallschrank,
    riß dessen oberste Schublade auf und holte ein altes
    Päckchen zerknitterter Zigaretten hervor.
    »Ich wußte doch, daß ich irgendwo welche versteckt
    hatte!« sagte er.
    Er ging an seinen Schreibtisch zurück, zündete sich
    eine Zigarette an und blies den Rauch mit großer Zu-
    friedenheit an die Decke. Als sein Blick erneut auf den
    jungen Araber fiel, hatte Mouss wirklich das Gefühl, der
    Inspektor würde ihn nun tatsächlich fragen, wer er sei
    und was er in seinem Büro verloren habe. Jedenfalls
    schien der Polizist ziemlich verärgert zu sein, was aller-
    dings nicht nur eine Vermutung von Mouss war.
    »Letzte Nacht ist Sylvie Vercauteren am Steuer eines
    Autos ums Leben gekommen«, sagte Mescard gelassen,
    unterließ es jedoch darauf hinzuweisen, daß es sich um
    einen gestohlenen Wagen handelte.
    In diesem Ton hätte er ebensogut die Wahl seines
    Schwagers in den Gemeinderat von Auvers-sur-Oise
    bekanntgeben können.
    Mouss, der durch die Ereignisse der letzten Zeit völlig
    außer Fassung geraten war, zeigte keine Reaktion.
    Wahrscheinlich hielt Mescard dieses Schweigen für
    Gleichgültigkeit. Er rollte die Zigarette zwischen den
    Fingern hin und her, bevor er sich erneut an Mouss
    wandte.
    »War Fräulein Vercauteren nicht Ihre kleine Freun-
    din?« fragte er

Weitere Kostenlose Bücher