Die Geier
wieder völlig beruhigt und gönnte sich
sogar Zeit für eine Tasse Kaffee. Um ein Haar wäre ihm
der Topf mit dem kochenden Wasser aus der Hand ge-
fallen, als er es an der Tür klingeln hörte. Mouss hielt
den Atem an. Erneut pochte sein Herz wie wild, er
rührte sich nicht ... Ein feiner Schweißfilm glitzerte auf seiner Stirn. Er betrachtete die Sporttasche, die auf dem
Tisch im Wohnzimmer lag.
Dann klingelte es ein zweites Mal, diesmal sogar hef-
tiger. Mouss biß sich auf die Unterlippe, stellte den Topf sehr vorsichtig hin, nahm die Tasche und ging auf Zehenspitzen ins Badezimmer. Als es schließlich endlos
lange zu klingeln begann, zog Mouss vorsichtig die
gekachelte Öffnung in der Badewanne auf und schob
die Tasche zwischen Email und Wasserrohrleitung.
Sorgfältig schob er die Platte an ihren Platz zurück, richtete sich auf und rieb sich die Hände. Natürlich war dies
kein ideales Versteck, aber er hatte nicht die Zeit, sich
ein anderes auszudenken.
Er hörte Stimmen im Treppenhaus, erkannte die
schrille Stimme der Concierge, die den Fremden erklär-
te, sie habe den Mieter vorhin heimkommen gesehen.
Verfluchte Klatschtante! Mit Schrecken dachte Mouss
daran, daß sie zu sämtlichen Appartements einen
Zweitschlüssel besaß.
Jemand begann mit den Fäusten gegen die Tür zu
hämmern.
»Aufmachen, Polizei!«
Überrascht runzelte Mouss die Stirn. Polizei? Was
wollte denn die Polizei von ihm. Er zog seine Jacke aus,
entledigte sich seiner Schuhe und zerzauste sich das
Haar.
»Ich komme!« knurrte er.
Vor der Tür standen zwei Polizeibeamte, die eher wie
zwei Verkehrspolizisten aussahen.
»Sie sehen, ich hatte recht!« kreischte die Klatschbase.
»Ich bin doch nicht verrückt ...«
»Entschuldigen Sie bitte, aber ich habe geschlafen«,
stammelte Mouss und rieb sich die Augen.
»Sind Sie Mustapha Moussi?« fragte einer der beiden
Bullen.
Mouss nickte.
»Kannten Sie eine gewisse Sylvie Vercauteren?«
fragte der andere.
Mouss' Beine begannen zu zittern. Einen Augenblick
lang hatte er gehofft, dieser Besuch hätte nur einen ganz
banalen Grund, einen Verstoß gegen die Straßenver-
kehrsordnung oder etwas ähnliches, aber nun bestand
kein Zweifel mehr, daß diese beiden Polizisten wegen
seiner Affäre zu ihm gekommen waren.
In seiner Verwirrung merkte er allerdings nicht, daß
der Polizist in der Vergangenheitsform von Sylvie ge-
sprochen hatte.
»Ja, ich kenne sie«, flüsterte er.
Es hatte keinen Sinn, sich noch tiefer in eine Lüge zu
verstricken.
Die beiden Bullen schauten sich zufriedenen Blickes
an.
»Sieht aus, als hätten wir diesmal das große Los gezo-
gen«, jubilierte der mit dem dichten braunen Schnurr-
bart.
»Ja, sieht ganz so aus«, wiederholte der andere.
»Es hätte ein anderer sein können, aber er ist es, den
wir suchen«, sagte erneut der Schnauzbärtige.
»Es hätte auch ein anderer sein ...«
»Verdammt Glück gehabt!«
»Ja, verdammt Glück ...«
Mouss räusperte sich.
»Worum geht's?«
Die beiden Polizisten schauten ihn an, als hätten sie
ihn vorübergehend ganz vergessen. Die Concierge
stand etwas abseits von den drei Männern und wartete
mit Spannung auf den Fortgang des Gesprächs.
»Wir haben einige Fragen an Sie«, erklärte der
Schnauzbärtige gelangweilt. »Wenn Sie Zeit haben,
können Sie sofort mit uns aufs Präsidium kommen.
Wenn nicht, lassen wir Ihnen eine Vorladung da.«
Seltsamerweise beruhigte dieser letzte Ausdruck
Mouss. Die beiden Polizisten waren also nicht gekom-
men, um ihn zu verhaften. Sie wollten nur einige Aus-
künfte über Sylvie haben. Gleich im nächsten Moment
kam ihm der Gedanke, daß sie sich umgebracht haben
könnte.
»Ist Sylvie etwas zugestoßen?« murmelte er.
Der Schnauzbärtige zog die Nase hoch und schaute
zu seinem Kollegen, als würde der die Frage beantwor-
ten. Als die Concierge merkte, daß ihr Mieter nicht di-
rekt etwas mit der Sache zu tun hatte, war sie sichtlich
enttäuscht. Erbost griff sie nach dem Kehrbesen und
fegte heftig über die Treppenstufen.
»Sie hatte einen Unfall«, antwortete schließlich der
mit dem Schnurrbart.
Mouss spürte, wie ihm die Haare zu Berge standen.
Einen Unfall? Dieser Ausdruck erinnerte ihn merkwür-
digerweise an die Methoden der Geier. Die Tarnung ei-
nes Verbrechens als banaler Verkehrsunfall. Sie hatten
Sylvie also gefunden! Und durch sie würden sie
zwangsläufig auch ihn finden, den Feind ...
Plötzlich fühlte
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