Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)
Adrian handelte mit Heringen und hatte eben die Meinung der Fischer wiederholt. »Aber ist das denn im Sinne des Königs?«, wunderte er sich.
Die Männer verstanden sich gut, obwohl sie nicht den gleichen Gott anbeteten, wie Amra herausgefunden hatte. Oder nicht genau den gleichen Gott. Amra fand das mit all den Göttern ziemlich kompliziert.
»Die Opferung eines Templers für diesen Götzen – das wird sich doch blitzschnell herumsprechen!«, führte Herr Adrian weiter aus. »Und es wird alle Fürsten und Kirchenmänner auf den Plan rufen, die sich der Missionierung der Slawen verschrieben haben.«
Baruch von Stralow verzog das Gesicht. »Missionierung kann man das auch nennen«, höhnte er. »Doch wohl eher Bekehrung mit Feuer und Schwert. Sonst habt Ihr natürlich Recht, diese Hinrichtung ist eine Provokation: ›Schaut her, ihr Dänen und ihr Sachsen! Ihr habt die Abodriten unterworfen und die Nakoniden. Die Wenden beten euren Gott an, ja ihr habt selbst unsere Burg schon mal erobert. Aber uns könnt ihr damit nicht schrecken. Wir machen trotzdem weiter mit unseren Bräuchen, unser Gott ist stärker als eurer!‹ Wie Kinder, die damit prahlen, dass ihr Vater die meisten Fische fängt. Aber das kommt nicht von König Tetzlav. Da steckt die Priesterschaft dahinter. Die scheinen tatsächlich zu glauben, ihr Götterstandbild da oben wird sich im Fall einer Bedrohung aufs Pferd schwingen und seine Truppen zum Sieg führen. Und reitet dann am besten gleich weiter nach Rom.«
»Und der König lässt sie machen?«, fragte Herr Adrian verwirrt. »Warum greift er nicht ein?«
Baruch zuckte die Schultern. »Dies hier ist ein Machtkampf, Herr Adrian«, meinte er dann. »König gegen Priesterschaft. Und diese Schlacht hier hat der König verloren. Aber die Priester spielen ein gefährliches Spiel. Am Ende mag dem König seine Macht wichtiger sein als sein Gott!«
Auf der Burg herrschte der reinste Jahrmarkt, als die Kaufleute und Fischer von Vitt eintrafen. Verkaufsstände, Garküchen und die bunten Wagen der Gaukler reihten sich entlang des inneren Burgwalls, die Luft war erfüllt vom Duft bratenden Fleisches, Honigkuchens und heißen Würzweins. Musik mischte sich mit fröhlichen Stimmen, es war laut und ging lustig zu wie beim Ernteorakel. Amra konnte sich kaum vorstellen, dass auf dem Platz bald ein blutiges Schauspiel wie eine Menschenopferung stattfinden sollte.
Im Tempelbereich rund um das Allerheiligste und die Götterstatue war es etwas ruhiger, aber auch hier gingen Menschen ein und aus. Viele Besucher nutzten die Gelegenheit, um ihrerseits dem Gott ein kleines Opfer zu bringen, beliebt waren Honigkuchen oder Glasperlen. Die Priester nahmen die Geschenke huldvoll entgegen und segneten die Gläubigen. Ein paar Kaufleute, die ihre Geschäfte auf Rujana schon getätigt hatten und vor der Heimfahrt standen, entrichteten ihre als Opfer deklarierten Zölle. Die Priester behandelten sie ehrerbietig, trugen sie doch wesentlich zum Tempelschatz bei.
Baruch schien die Sache mit dem Stoff für Amras neues Kleid inzwischen vergessen zu haben, oder er plante, den Einkauf erst nach der Zeremonie zu tätigen. Vorerst war Mirnesa die Einzige aus ihrer kleinen Gruppe, die sich für den Markt interessierte. Amra war viel zu aufgeregt und die Kaufleute zu ernst für Vergnügungen jedweder Art. Baruch trauerte um Herrn Gisbert, den er während ihres kurzen Gesprächs schätzen gelernt hatte, und Herr Adrian, ein Christ, war empört darüber, dass man ihn zwang, dem Mord an seinen Glaubensbrüdern beizuwohnen. Beide Männer ließen sich allerdings nichts anmerken und nahmen stoisch die Plätze in einer der vorderen Reihen um den Opferplatz herum ein, die ein Tempeldiener ihnen zuwies. Bessere Plätze gab es nur noch für den König und den Adel, für die seitlich des Richtplatzes ein Baldachin aufgespannt und Sessel herausgebracht worden waren.
Amra schaute neugierig nach König Tetzlav und seiner Gattin aus. Wäre sie nicht so nervös gewesen, hätte sie den Anblick der feinen Damen in ihren bunten, teilweise edelsteinbesetzten Kleidern genossen. So aber … Sie fragte sich, wo Magnus stehen würde, während man seinen Leidensgefährten tötete – und sie zitterte angesichts der letzten Unwägbarkeit in ihrem Plan: Würde man zuerst Gisbert hinrichten oder doch seinen jüngeren Begleiter? Einiges sprach für Letzteres, die wertvollsten Opfer wurden meist zuletzt gebracht. Gisbert war zwar ein Templer, aber Magnus war von
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