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Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Ricarda Jordan
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höherem Adel.
    Jetzt ertönten die Hörner, die Marktstände schlossen, und die Priester riefen die Menschen zur Zeremonie zusammen. Die Leute aus Vitt und Puttgarden, die Gäste von auswärts und die Abordnungen anderer slawischer Stämme, die ohnehin gerade auf der Burg waren, um das Orakel zu befragen, platzierten sich hinter den Kaufleuten und Adligen rund um die Richtstätte. Der Hohepriester intonierte Anrufungen des Gottes, auf die Amra aber kaum horchte, sie hatte nur Augen für den immer noch leeren Richtplatz. Und dann brachte man die Opfer. Amra nahm mit wild klopfendem Herzen wahr, dass sie ein weiteres Mal an diesem Tag vom Glück begünstigt war. Die Priester hatten die Opfer mit Kapuzen versehen. Nur noch dem Gott sollten sie bei der Opferung ihr unverhülltes Antlitz zeigen. Also konnte sich niemand Magnus’ Gesicht und Gestalt einprägen und ihn später verraten. Das hielt Amra zwar ohnehin für unwahrscheinlich, aber es schien doch so, als sollten die inbrünstigen Gebete des Herrn Gisbert für das Gelingen ihres Plans und ihre eigenen Appelle an die verständnisvolle Erdgöttin erhört werden. Sie tastete nach der Falle in ihrem Korb – die Ratte machte gleich den Versuch, in ihre Finger zu beißen. Das Tier war wohlauf …
    Die Menschen auf dem Platz, und sicher auch die Priester, registrierten, dass sich beide Gefangenen gefasst aufrecht dem Richtplatz näherten. Hätten sie geweint, geschrien und sich gewehrt, so wäre das ein schlechtes Zeichen gewesen. Svantevit wollte das Blut von Kriegern, nicht von Memmen.
    Allerdings konnte Amra von ihrem Standort aus die Augen der Männer sehen, und während Gisbert ruhig auf den Richtplatz blickte, stand in Magnus’ Gesicht die blanke Panik. Blaue Augen, erkannte Amra. Oder blaugrau, wie oft der Himmel über Rujana. Aber vielleicht leuchteten sie heller, wenn sein Blick nicht von Angst und Entsetzen getrübt war …
    Der oberste Priester stellte nun die Schalen und Körbe bereit, die das Blut und die Häupter der Opfer auffangen sollten, und zog das Schwert. Wie ein gutes Omen wurde der blanke Stahl von einem Sonnenstrahl erfasst, der sich durch die Wolken schob, als er ihn dem Gott entgegenstreckte. Die Leute reagierten mit bewundernden Rufen. Der Priester rief den Knechten, welche die Gefangenen bewachten, etwas zu. Jetzt, jetzt würde es sich entscheiden …
    Amras Herz krampfte sich zusammen, doch im gleichen Moment trat auch schon Gisbert de Soigne vor und riss sich die Kapuze vom Kopf. Der Wind zerzauste sein dunkles Haar, als er den Kopf stolz dem Priester und seinem Gott entgegenhob.
    »Ich bin bereit. Ihr müsst mich nicht zum Richtplatz zerren wie die Schafböcke, die Ihr sonst Eurem Götzen zum Opfer bringt!«
    Der oberste Priester verzog das Gesicht, aber außer ihm hatte wohl kaum jemand die auf Französisch gesprochenen Worte des Templers verstanden. Und auch das Gebet, das der Ritter jetzt mit volltönender Stimme sprach, während ihn zwei Tempeldiener zum Richtplatz geleiteten, schien nur Herr Adrian zu kennen. Der sprach es leise mit. Baruch schob sich unauffällig vor ihn, damit dies den Priestern verborgen blieb.
    Amra mochte nicht hinsehen, doch dann ging es so schnell, dass sie es nicht schaffte, rechtzeitig den Kopf abzuwenden. Die Tempeldiener stießen Herrn Gisbert auf die Knie, das Schwert des Priesters zischte durch die Luft – und schon verklang das Gebet des Opfers. Ein Blutstrom schoss aus seinem Rumpf, und sein Haupt fiel in die bereitgestellte Schale. Der Priester zerrte es an den Haaren heraus und hielt es dem Gott entgegen – wohl hoffend, dass der sich noch am letzten Aufblitzen der Augen des Opfers laben konnte. Die anderen Priester sangen eine Anrufung, die wie ein Schrei des Triumphes klang, während es dem Volk eher die Sprache verschlagen hatte. Die einfachen Fischer und Bauern von Rujana blickten starr und verstört auf das blutige Schauspiel. Und Amra wusste, dass es Zeit war zu handeln.
    Während der oberste Priester den Atem anhielt und mit dem blutigen Haupt des Templers den geheiligten Bereich des Gottes betrat, um das Opfer vor Svantevit niederzulegen, schob auch Amra sich an den Rand des Gevierts – und öffnete die Rattenfalle. Das kleine, kräftige Tier schoss heraus, wie ein Pfeil vom Bogen schnellte. Instinktiv rannte es weg von der Menschenmenge, querte blitzschnell den Weg des Priesters und suchte Schutz im Tempel des Gottes.
    Wahrscheinlich würde es einen Durchschlupf zu den dahinterliegenden
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