Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)
möglichen Häschern zu verstecken. Die Fischer, die untereinander kaum ein Wort wechselten, hatten keine Menschenjagd im Sinn. Sie kümmerten sich nicht um den fremden Jungen in ihrer Mitte, vielleicht hielten sie ihn für einen Besucher, einen Angehörigen oder Diener der Kaufmannschaft oder für einen Burschen aus Puttgarden. Vielleicht nahmen sie ihn aber auch gar nicht wahr, schließlich waren sie zur Genüge mit sich selbst beschäftigt.
Der Anlegesteg von Vitt war nicht zu übersehen – schließlich strebten alle Fischer direkt dorthin, und Magnus musste nur noch nach dem Boot des Kaufmanns Baruch Ausschau halten. Er fühlte Erleichterung und fast etwas wie Rührung, als er Amras grünen Schal am Mast eines der kleinen Segler wehen sah. Das musste es sein. Magnus holte tief Luft, bevor er an Bord sprang und das Boot in Besitz nahm. Er fuhr mit den Fischern hinaus – mit all seiner Kraft und Verzweiflung rudernd. Er musste das große, von Baruch von Stralow angeheuerte Schiff, das etwas weiter draußen geankert hatte, so schnell wie möglich erreichen. Die Männer würden sicher rasch merken, dass sie genarrt worden waren, schließlich schwamm weit und breit kein Hering in der Bucht. Magnus wollte vor Freude und Erleichterung weinen, als er dem Schoner näher kam und seinen Namen am Bug erkannte: Hilge Maget , Heilige Jungfrau. Ein christliches Schiff, man würde ihn nicht abweisen.
Mit letzter Kraft ruderte Magnus sein Boot um die Hilge Maget herum, sodass er von der Bucht aus nicht mehr zu sehen war. Dann schrie er zu den neugierigen Seeleuten hinauf, die verwundert auf das offensichtlich verirrte Fischerboot herabblickten.
»Helft mir! Um Christi willen helft mir!«
Magnus hielt Amras Schultertuch fest umklammert, als die Männer ihn an Bord zogen. Ganz deutlich nahm er den Duft ihres Haars darin wahr.
Kapitel 5
S ie war es! Sie hat die Ratte losgelassen!«
Amra hörte die sich überschlagende Stimme, als sie gerade aufatmen wollte. Magnus war fort, mit der aufgeregten Menge verschmolzen. Auch die Ratte war weg, und die Falle hatte sie fortgeworfen. Mit etwas Glück würden die fliehenden Menschen sie zertrampeln.
Und nun das. Sie sah sich hektisch nach dem Verräter um und erkannte einen reich in Brokatgewänder gekleideten Jüngling, der von den erhöhten Sitzen des Adels aus anklagend mit dem Finger auf sie wies. Jetzt schien er auf den König einzureden und dann auf den Hohepriester, der sich inzwischen aus dem heiligen Bereich entfernt hatte – zweifellos wutentbrannt und vielleicht auch voller Furcht. Mit seinem Schrei hatte auch er den Tempel entweiht, er hatte sicher im Allerheiligsten geatmet. Und ob der Gott ein Opfer annehmen würde, dessen Tod offensichtlich Dämonen freigesetzt hatte?
Amra überlegte, ob sie fliehen sollte, aber wenn man sie nicht ohnehin schon erkannt hatte, hätte ihr flammend rotes Haar sie auf jeden Fall verraten. Es war besser zu leugnen, es war …
Amra erschrak, als zwei der Tempeldiener sie von hinten ergriffen. Sie hörte Herrn Baruch argumentieren, ihre Mutter schreien, als die Männer sie von ihrer Familie wegrissen. Brutal zerrten sie das Mädchen durch die Menge und warfen es vor dem König und dem Hohepriester zu Boden.
Amra wagte nicht, zu den hohen Herren aufzusehen, doch sie hörte die Stimme des Priesters.
»Sie?«, fragte er streng.
»Ich hab nichts getan …« Amra wollte sich rechtfertigen, aber die Frage war nicht an sie gerichtet.
Stattdessen erhob sich erneut die Stimme des Knaben. »Ja. Sie war es. Ohne Zweifel!«
Amra wusste kaum, wie ihr geschah, sie kam erst wieder zu Atem, als sie sich unversehens in dem Kerker wiederfand, in dem sie am Tag zuvor noch Magnus und Herrn Gisbert besucht hatte. Die Tempeldiener hatten sie hereingebracht, und sie hatte den älteren der Wächter erkannt. Der Mann gab seinerseits aber kein Zeichen des Erkennens von sich. Wahrscheinlich aus Selbstschutz, auch er würde mit Strafen zu rechnen haben, wenn herauskam, dass er sich von Amra hatte bestechen lassen.
Erschöpft und aufgewühlt ließ sich Amra in der Ecke nieder, in der Magnus gehockt hatte. Hier fühlte sie sich ihm nahe und seltsam getröstet. Wie es aussah, war er entkommen. Und Svantevit hatte sich für den Frevel nicht gerächt – über die Burg war kein Unheil gekommen. Amra bezweifelte allerdings, dass der König und die Priesterschaft so leicht vergaben wie ihr Gott.
Wie viel Zeit in ihrem dunklen Verlies vergangen war, als Baruch von
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