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Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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förmliche Anrede wählte.
    »Wenn sie Eure Freundin war, dann rettet ihre unsterbliche Seele!«
    Amra runzelte die Stirn. Wie sollte sie Barbaras Seele retten?
    »Sagt, dass es ein Unglück war!«, wisperte Schwester Gotlind. »Auch wenn es eine Lüge ist, Gott wird Euch vergeben. Aber macht, dass sie wenigstens in geweihter Erde bestattet wird, sie und ihr … ihr Kindlein. Sagt, dass es ein Unglück war!«
    »Sie war nicht bei sich«, erklärte Amra, als sie gut eine Stunde später in den Kapitelsaal beordert wurde. Die Mutter Oberin und die Amtsträgerinnen unter den Schwestern hatten sich hier versammelt, um ihre Aussage zu Barbaras Tod zu hören. »Sie war heute den ganzen Tag … wie … hm … wie beseelt, sie hat auch gefastet.«
    »Sie hat heute gefastet?«, fragte Mutter Clementia ungehalten.
    Die Novizinnen hatten am Tag zuvor fasten müssen, um sich auf die Zeremonie vorzubereiten. Nach der Messe hatte sie ein Festmahl erwartet.
    »Ja«, behauptete Amra. »Sie hat in der letzten Zeit andauernd gefastet. Ich dachte mir schon, dass es zu viel wird, sie war ganz verwirrt. Aber auch glücklich, sie wollte Gott nahe sein. Deshalb lief sie heute nach der Vigil noch einmal in die Kirche. Ich wollte sie aufhalten, aber ich … ich durfte ja nicht sprechen.« Amra senkte demütig den Blick. »Also bin ich ihr nachgelaufen, erst in die Kirche, wo ich mit ihr gebetet habe. Aber dann wollte sie die Glocken läuten zum Lobe Gottes. Sie stieg zum Turm hinauf – ich konnte sie nicht zurückhalten. Und sie betete, während sie die Glocken läutete, sie war wie erleuchtet. Aber … aber dann verließ sie wohl die Kraft.«
    Amra verbarg ihr Gesicht in den Händen. Sie musste die Tränen nicht vortäuschen, Barbaras freiwilliger Tod traf sie zutiefst, und nun musste sie eine solche Vorstellung geben! Was für ein absurder Versuch der Ehrenrettung für ein Mädchen, das von seinem Gott verlassen worden war. Damit nun nicht noch die weltliche auf die himmlische Strafe folgte: das Verscharren ihres Körpers in einem ungeweihten Grab. Amra verstand nicht, wie man Barbara zürnen konnte. Wenn hier jemand Schuld hatte, so allenfalls Gott.
    »Das ist eine unendlich traurige Geschichte«, meinte Schwester Gotlind schließlich. »Ein Übermaß an Frömmigkeit …«
    »Oder eine Anmaßung von Heiligkeit«, urteilte Mutter Clementia streng. »Schwester Barbara hat mit ihrem eigenmächtigen Fasten und mit dem unerlaubten Verlassen des Dormitoriums den Regeln zuwidergehandelt, egal aus welchem Antrieb. Das führt zu nichts Gutem, ich werde es dem Konvent morgen noch einmal eindringlich vor Augen halten. Auch du, Schwester Anna Maria, hast dich schuldig gemacht. Du hättest einer Ordensoberen von Schwester Barbaras Insubordination Meldung machen müssen. Ich werde dich eine Woche lang vom Gottesdienst ausschließen.«
    »Auch von der Trauerfeier?«
    Amra hatte ihr Urteil schweigend hingenommen, aber Schwester Gundula fragte betroffen nach. Sie wusste von allen Schwestern am besten, wie nah sich Amra und Barbara gestanden hatten – und hatte sich vielleicht sogar selbst strafbar gemacht, indem sie ihre Freundschaft nicht meldete.
    »Auch von der Trauerfeier!«, bestätigte die Oberin unnachgiebig. »Sie war der Verstorbenen eine schlechte Schwester, sie hat ihr Fehlverhalten gedeckt, anstatt sie zur Einhaltung der Regeln anzuhalten. Wir haben gesehen, wohin das führt, sie muss es begreifen, und all die anderen jungen Schwestern auch.«
    Amra verbrachte die Totenmesse für ihre einzige Freundin ausgestreckt auf den Steinen vor der Kirchentür, nachdem die Mitschwestern über sie hinweggestiegen waren, ohne sie zu beachten. Es war ihr gleichgültig, sie spürte nicht einmal Demütigung. Im Gegenteil, eher war sie erfüllt von böser Freude. Es gab eine Trauerfeier, Barbara wurde in allen Ehren auf dem Friedhof des Klosters beigesetzt. Wahrscheinlich hätte sie das so gewollt. Amra selbst dagegen jagte es Schauer über den Rücken.
    Mit der Profess versprachen die Ordensschwestern, ihr Kloster niemals zu verlassen, weder tot noch lebendig. Amra dachte über den Blick vom Kirchturm aus nach. Nie wieder über diese Mauern hinausschauen? Niemals mehr frei sein?
    Ihr Herz raste allein bei dem Gedanken. Und sie schwor sich in dieser Stunde auf dem eiskalten Marmor, dass es nicht so weit kommen sollte. Sie würde nicht im Kloster alt werden, sie würde es eines Tages verlassen. Egal wie und zu welchem Preis!



D AS O RAKEL
    Walsrode –

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