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Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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der anderen aufgerufen – und während sie vor dem Bischof und der Äbtissin knieten, ihre Hände hielten und feierlich Keuschheit, Verbleiben im Kloster auf Lebenszeit und Gehorsam gelobten, kämpfte Amra mit der Fantasie, dass Miladin mit gezücktem Schwert hereinstürmen könnte, um seine Barbara im letzten Moment zu befreien. Aber natürlich erschien kein Ritter.
    Auch Barbara trat vor und sprach die rituellen Worte. Tränenlos, mit glänzenden Augen und einem Ausdruck im Gesicht, der Entrückung bedeuten konnte, aber auch verzweifelte Hoffnung. Amra machte sich Sorgen um die Freundin, während das Hochamt seinen Lauf nahm und die neuen Ordensfrauen schließlich mit einem besonderen Mahl im Refektorium feierten. Schweigend natürlich, nicht einmal an diesem Tag wich man von den Ordensregeln ab.
    Amra fiel allerdings auf, dass Barbara gleich nach dem Essen ohne Entschuldigung hinauslief und kurz darauf blass und mitgenommen zurückkam. Es sah aus, als hätte sie sich übergeben, was in der letzten Zeit allerdings öfter vorkam. Amra hatte die Schwester Apothekerin sogar schon um eine Medizin gegen den nervösen Magen der Freundin gebeten, woraufhin Schwester Mechthild mit einem Lächeln reagiert hatte.
    »Das ging uns allen so vor der Ewigen Profess, auch wenn wir vorher schon jahrelang im Kloster gelebt hatten. Es ist doch ein Einschnitt.«
    Amra hatte sich nicht viel dabei gedacht, doch jetzt … die Profess war abgelegt, alle Entscheidungen waren getroffen. Barbara hätte sich beruhigen müssen.
    Amra hätte gern mit ihr gesprochen, aber sie kam nicht dazu. Die Stundengebete zogen sich an diesem Tag länger hin als sonst, die reichhaltigere Mahlzeit nahm auch mehr Zeit in Anspruch, und selbst in der kurzen Freistunde fand sich keine Gelegenheit. Wie alle, die das Gelübde abgelegt hatten, war Barbara umringt von Gratulantinnen. Die Schwestern durften an diesem Tag sogar Angehörige begrüßen. Barbara brach in Tränen aus, als sie ihre Eltern und Geschwister sah, ein Gespräch kam allerdings nicht zustande, dafür war die Zeit zu kurz. Amra fand diese Besuche grausam. Da sahen diese Frauen ihre Familien nach Jahren zum ersten Mal wieder, und man erlaubte ihnen nicht einmal eine Umarmung.
    Schließlich folgte die Komplet, und Barbara schien noch einmal innigst ins Gebet vertieft. Sie hielt das Schweigen streng ein und antwortete auch nicht auf Amras geflüsterte Frage, ob alles in Ordnung sei, als die jungen Frauen dann unter ihre Decken schlüpften. Amra konnte nur hoffen, dass sie nun nicht gänzlich entschlossen war, jede Klosterregel auf das Wörtlichste zu befolgen.
    Als die Glocken die Schwestern in der ersten Morgenstunde zur Vigil aus dem Schlaf rissen, meinte Amra, von Barbara ein ersticktes Schluchzen zu hören. Sie folgte ihr besorgt zur Kirche. Barbara betete mit gesenktem Kopf. Die Hymnen schien sie nicht mitzusingen, aber um diese Zeit brachte kaum eine der Schwestern ausreichend Begeisterung auf, das Gotteslob mit voller Stimme hinauszujubeln.
    Amra war dennoch davon überzeugt, dass irgendetwas mit ihrer Freundin nicht stimmte. Während sie sich erneut aufatmend in ihre Decke hüllte, beschloss sie, am nächsten Tag mit Barbara zu reden – sie würde schon eine gute Ausrede finden, um die junge Frau aus dem Skriptorium zu holen.
    Dann rührte sich etwas in dem Bett neben ihr. Verwundert verfolgte Amra, wie sich Barbara im Kerzenschein erhob und aus dem Dormitorium taumelte. Ob ihr wieder schlecht war?
    Amra huschte aus dem Bett und folgte ihr. Aber Barbara wandte sich nicht zum Abtritt, sie lief durch den Kreuzgang zurück zur Kirche. Amra fand sie vor dem Altar, bitterlich weinend.
    »Barbara, was ist denn?« Amra war so besorgt, dass sie die Kniebeuge vor dem Altar ganz vergaß. Sie kauerte sich neben ihre Freundin und legte den Arm um sie, beinahe verwundert, dass Barbara sie nicht abwehrte. »Rede mit mir! Sag mir, was passiert ist!«
    Barbara wandte sich ihr mit fast irrem Blick zu. »Passiert?«, fragte sie. »Wie kannst du es so … so ausdrücken? Wie kannst du so tun, als sei nur … nur ein Milchkrug zerbrochen?«
    Amra zuckte die Schultern. »Ich weiß ja nicht, was geschehen ist. Du musst es mir schon sagen.«
    »Es ist nichts geschehen!«, brach es aus Barbara heraus. »Der Tag ist vorbei, ich habe das Gelübde abgelegt, und es ist nichts geschehen.«
    »Aber was sollte denn dabei geschehen?«, fragte Amra verständnislos. »Gott sollte dich erleuchten. Aber das tut er doch nie.

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