Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)
erst, dass ihr Freund und Gönner anwesend war. Er saß bei den Ratgebern des Königs, ein gutes Zeichen.
»Nun, man erzählt sich allerdings, du wurdest erst drei Jahre nach deines Vaters Tod geboren«, bemerkte der König. »Aber das tut nichts zur Sache. Warum hast du den Tempel geschändet?«
Amra schüttelte energisch den Kopf. »Das habe ich nicht, das …«
»Hast du doch!« Die sich wieder mal überschlagende Stimme des jungen Vaclav, der sich wohl im Stimmbruch befand. »Ich hab’s gesehen, Oheim!«
Der Junge sonnte sich offensichtlich in der Aufmerksamkeit seines hohen Verwandten und der Priesterschaft.
»Es gibt keinen Grund, an den Worten des Edlen Vaclav zu zweifeln«, erklärte der Hohepriester. »Also leugne es nicht, Mädchen!«
»Aber ich war’s nicht!«, beharrte Amra. »Mag sein, dass die Ratte aus meiner Richtung kam, und ich … ich bin erschrocken und hab mich nach ihr gebückt, um sie vielleicht noch zu fangen, damit sie nicht …«
Die Geschichte war ziemlich gut, schade, dass sie ihr nicht früher eingefallen war. Jetzt war es zu spät, sie richtig auszuschmücken.
»Sie lügt«, sagte der Priester kurz. »Sie hat den Tempel geschändet. Darauf steht der Tod.«
»Ihr könnt das nicht bestimmen!«, meldete sich auf einmal Baruch zu Wort, sicher mit dem Mut der Verzweiflung. »Das Mädchen gehört zu den Leuten des Königs, er muss hier Recht sprechen. Und seiner Gerechtigkeit unterwirft es sich. Ist es nicht so, Mädchen? Vertraust du dem König?«
Amra nickte. Obwohl sie das Gefühl hatte, damit ihr Todesurteil zu besiegeln. Bei Magnus hatte Tetzlav schließlich auch keine Milde walten lassen.
Baruch blickte den König aufmerksam an. Wenn er Recht hatte, so befanden sie sich hier mitten in einer weiteren Runde des Machtkampfes zwischen König und Priesterschaft. Es mochte Tetzlav gefallen, Muris und die Seinen diesmal in ihre Schranken zu verweisen. Zumal in Anbetracht des Desasters, das sich aus der letzten Niederlage ergeben hatte. Svantevit hatte nicht über den Christengott triumphiert, im Gegenteil. Schon bildeten sich Legenden um den Tod des Templers. Tetzlav brauchte die Priester nun lediglich zu verhöhnen und auf ein Ausbleiben der Strafe Svantevits zu verweisen. Seinen übereifrigen Großneffen, oder wie immer er mit Vaclav verwandt war, zum Schweigen zu bringen, sollte auch nicht schwierig sein. Tetzlav konnte Amra gehen lassen …
Aber dann geschah etwas, womit der Kaufmann nicht gerechnet hatte. Eine dritte Macht schob sich zwischen König und Priesterschaft: die Macht des Verlangens.
Baruch beobachtete besorgt, wie sich erneut Schweigen über die Versammlung legte. Weder der Priester noch der König antworteten auf seinen Einwand.
Muris fixierte ihn allerdings boshaft, während der Fürst das Mädchen Amra mit kalten, ruhigen Augen betrachtete. Baruch konnte nicht erkennen, ob irgendetwas an ihr sein offenes Interesse weckte, aber sein Blick streifte doch aufmerksam über ihren schmalen Körper, ihre knospenden Brüste und ihr hüftlanges, lockiges Haar in der Farbe des Sonnenaufgangs. Amra erwiderte seinen Blick mit angst-, aber auch immer noch trotzerfüllten Augen, wach und leuchtend grün wie die Wälder der Insel.
Schließlich schien Tetzlav zu einer Entscheidung zu gelangen. Er ließ den Blick fast ein wenig triumphierend über die Priester, seine Ratgeber und seine Ritterschaft schweifen.
»Sie ist schön«, sagte der Fürst kurz. »Es wäre zu schade, sie zu töten. Ich behalte sie als Sklavin. Sie kann den Frauen zur Hand gehen. Und sonst …«
»Aber sie hat Gott gefrevelt!«, wandte der oberste Priester ein. »Svantevit verlangt ihren Tod!«
Baruch überlief es kalt – sowohl was die Absichten des Königs als auch die des Priesters anging. »Sie ist noch ein Kind«, sagte er leise.
Tetzlav zuckte die Schultern. Auf Baruchs Einwand ging er gar nicht erst ein. »Seit wann verlangt es den Gott nach dem Blut von Weibern?«, höhnte er. »Der Gott hat den Mönch bekommen. Wenn er das Opfer nicht angenommen hat, ist es seine Sache. Das Mädchen nehme ich.«
Der Fürst stand auf und nickte sowohl Baruch als auch den Priestern kurz zu. Das Gericht war beendet.
Amra stand da, von niemandem mehr beachtet. »Was soll ich denn jetzt machen?«, fragte sie tonlos.
Baruch sah sie mitleidig an. Er berührte sie nicht. Sie gehörte von nun an dem König.
»Geh in die Küche und mach dich irgendwie nützlich«, antwortete einer der Ritter. Mitleidig
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