Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)
man einen Lagerplatz teilt.«
Amra biss sich auf die Lippen, doch Magnus reagierte schnell.
»Wir sind … äh … Bauern. Wir kommen aus Schwerin und wollten zu … einer Hochzeit bei der Mikelenburg. Eine neue Siedlung, meine Schwester ist …«
Graubart zog die Augenbrauen hoch. Er schürzte die Lippen, natürlich hatte er die Lüge sofort erkannt.
»Ach ja, ein fleißiger Landmann«, höhnte er. »Sag, pflügst du deine Felder mit dem Streithengst oder der Zelterin? Und euer Dorf muss sehr reich sein, wenn du deiner Frau ein Hemd aus so feinem Leinen kaufen kannst und Kleider aus flandrischem Tuch.«
Amra errötete, und Magnus schlug die Augen nieder.
»Und das da …« Graubart wies auf die eiserne Schelle an Magnus’ Fuß, der unter dem Mantel hervorragte. Sein Knöchel war zerschlagen und entzündet, der gestrige Ritt hatte die Verletzung noch schlimmer gemacht. »… das trägt man in eurem Dorf wohl als Schmuck, ja?«
»Ich bin Amra, und das ist Magnus«, sagte Amra kleinlaut. »Aber ein Ziel haben wir nicht. Und keine Herkunft, die wir euch nennen mögen.«
Graubart lachte. »Na, das ist wohl wenigstens die Wahrheit, wenn auch nicht sehr erschöpfend. Egal, wir müssen’s nicht wissen, nur belügt uns nicht! Ich merk’s, wenn man mich belügt, wisst ihr …«, er machte eine theatralische, ausgreifende Handbewegung. »Denn ich bin ein Magier … eingeweiht in alle Geheimnisse von Thule bis Atlantis.«
Zu Amras Verwunderung hielt er plötzlich eine Blume in seiner Hand. Eine vollkommene Lilie.
»Hier, Frau Amra, weiß wie die Unschuld …«
Er griff ein weiteres Mal in die Luft und beförderte eine Rose hervor. »Und rot wie Blut … Doch beide verblassen vor Eurer Schönheit!« Graubart zwinkerte. Amra musste lachen.
»Und Ihr, mein Herr …« Der Zauberer sah Magnus prüfend an. »Ihr seht mir aus, als brauchtet Ihr was zu essen. Wie gut, dass Eure Freundin etwas Proviant hinter dem Ohr verwahrt.«
Er griff vorsichtig hinter Amras rechtes Ohr und förderte einen Brotkanten hervor, den er Magnus zuwarf.
Der junge Mann konnte nicht anders, er schlang das Brot gleich gierig hinunter.
»Oh«, meinte der Magier betroffen. »Da hab ich ja wohl ins Schwarze getroffen. Kommt, Kinder, steht auf, zieht euch an und kommt etwas essen. Wir sind nicht reich, aber hungern muss hier niemand, erst recht kein Gast an unseren Feuern.«
Damit stand er auf, um Amra und Magnus beim Ankleiden nicht in Verlegenheit zu bringen. Die anderen Mitglieder der Truppe, die noch neugierig um das Paar herum verharrt hatten, folgten ihm. Lediglich der riesige Mohr blieb. Er tippte Magnus sacht an die Schulter. Der sah erschrocken zu ihm auf, aber der Mann wirkte sanft und lächelte beruhigend, als er jetzt auf Magnus’ Fußschelle zeigte und ihn anwies, ihm zu folgen. Magnus ließ Amra ungern allein, mochte dem Mann aber auch nicht widersprechen. Goliath führte ihn zu einem der nächststehenden Wagen. Er griff unter den Bock und förderte einen Amboss hervor. Der riesige Schwarze balancierte ihn spielerisch in einer Hand, mit der anderen griff er nach einer Ledertasche, in der er wohl sein Schmiedewerkzeug aufbewahrte.
»Fuß hier drauf!«, wies er Magnus an und zeigte auf den Amboss. »Stillhalten. Keine Angst.«
Magnus schloss die Augen, während der Schwarze den Hammer hob und mit der Kraft eines Bären zuschlug, doch der einzige Schmerz kam daher, dass die gesprengte Fußfessel beim Abfallen die Wunde streifte.
»Besser?« Goliath lächelte.
Magnus dankte ihm verlegen und fasste vorsichtig nach seinem Knöchel.
»Und jetzt zu Milan, er Bader. Er kann heilen. Ist guter Medikus.« Goliath wies auf einen aufwendig bemalten Wagen, auf dem Milans Wunderelexier geschrieben stand. »Solange man nur sein ›Wunderzeug‹ nicht trinkt …«
Goliath begleitete Magnus gleich zum Wagen des Baders, der ihn tatsächlich fachkundig verarztete. Milan war ein hochgewachsener Mann, der den Mantel eines Gelehrten trug – allerdings nicht aus schwarzem Tuch, wie die meisten Ärzte, sondern in Blau, mit bunten, magischen Symbolen bestickt.
Magnus dankte Milan befangen, als er ihm einen Verband angelegt hatte. Er hätte ihm die Leistung gern vergütet, aber der Bader winkte gelassen ab. »Man hilft sich unter Fahrenden«, meinte er freundlich. »Und ihr seht auch nicht aus, als hättet ihr Geld.«
Amra hatte inzwischen ihre Kleider angelegt und saß nun am Feuer der beiden drallen jungen Mädchen. Eins davon füllte ihr gerade
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