Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)
wirklich daran geglaubt und auch nur geringe Kenntnisse gehabt, aber an ein paar Grundlagen erinnerte sich Amra.
Graubart runzelte die Stirn. »Handlesen ist gut«, meinte er dann. »Aber was ist orientalischer Tanz?«
Amra stand auf. Es war ihr peinlich, sich hier vor all den Leuten das Kleid über den Kopf zu ziehen, aber eben hatten die Gaukler sie schon leichter bekleidet gesehen. Und sie hatte schon Schlimmeres tun müssen, um mit dem Leben davonzukommen.
»Dreht euch um!«, forderte sie ihr lachendes Publikum nichtsdestotrotz entschlossen auf.
Amra öffnete die Bänder an ihrem Unterkleid, schürzte es und befestigte es so, dass es wie ein Rock fiel. Dann band sie ihr Hemd unter den Brüsten zusammen, sodass ihr Bauch frei war. Das Kostüm glich nun am ehesten den Seidenbustiers und weiten Haremshosen, in denen Basima und Dschamila immer getanzt hatten.
Nun begann Amra, eins ihrer Lieder vor sich hin zu summen und ihre Hüften und ihren Bauch dazu kreisen zu lassen. Magnus blickte fassungslos, doch die Gaukler begannen schon nach wenigen Bewegungen zu pfeifen und zu klatschen. Ein Fiedler und ein Flötenspieler nahmen ihre Instrumente zur Hand, griffen die Melodie auf und spielten fordernde, aufwühlende Musik zu Amras immer schneller werdenden Bewegungen. Schließlich beugte sie sich rasch vor, ließ ihr Haar über Gesicht und Körper fallen und beendete den Tanz. Die Schausteller applaudierten johlend.
»Mädchen, wo hast du denn das gelernt?«, lachte Graubart. »Nicht zu glauben, da greift man ein behütetes Burgfräulein auf, das doch wohl mit seinem unerwünschten Minneherrn auf und davon gegangen ist, und dann führt’s einen Tanz auf wie eine babylonische Tempelhure! Du brauchst nur noch ein Kostüm, möglichst eins mit Münzen, die beim Tanzen klirren. Dann werden dich die Kerle mit Kupfermünzen bewerfen! Und wenn du einem mehr von deiner Gunst gewähren wolltest …« Magnus sprang auf, aber Graubart hob beschwichtigend die Hände. »Schon gut, schon gut, Herr Ritter! Es reicht ja, wenn sie tanzt und aus der Hand liest.«
Er verbeugte sich noch einmal bewundernd vor Amra, die ihr Kleid schon wieder über den Kopf zog. An solch freizügiges Auftreten vor Publikum würde sie sich noch gewöhnen müssen. Auch Basima und Dschamila hatten stets betont, dass diese Tänze nur geschaffen worden waren, um im engen häuslichen Kreis ihren Herrn oder Gatten zu erfreuen.
»Und was ist mit dir, Herr Ritter?«, wandte sich Gesine, die Zwergin, nun freundlich an Magnus, wohl, um ihn abzulenken. »Hast auch du verborgene Talente?«
»Ich bin kein Ritter«, sagte Magnus, und in seiner Stimme schwang Bitterkeit mit. »Natürlich verstehe ich mich ein bisschen auf Schwertkampf.«
»Weil du ja kein Ritter bist!«, neckte ihn Tiberius. »Aber einen Gladiator haben wir schon. Wir setzen einen Preis aus, wenn einer Goliath besiegt. Ein Schwertkampf wäre nichts Neues für uns – wobei du zurzeit auch nicht aussiehst, als ob du auch nur ein Kind besiegen könntest.«
Magnus wollte schon wieder protestieren, aber dann schwieg er. Der Mann hatte Recht, in seiner augenblicklichen Verfassung konnte ihm selbst ein kräftiger Bauernlümmel gefährlich werden. Er überlegte kurz, aber außer dem Kampf hatte er nicht viel gelernt. Nicht einmal die Laute konnte er schlagen.
Jetzt meldete sich jedoch Amra. »Sein Pferd«, sagte sie gelassen und wies auf den Fuchshengst, »kann die Zukunft voraussagen.«
Die Gaukler wandten sich ihr misstrauisch zu, Magnus selbst sah sie an, als sei sie nicht bei Trost.
»Hier, wartet, ich zeig’s euch!«, fuhr Amra jedoch eifrig fort, stand auf und lief auf Magnus’ Hengst zu, der an einem Baum am Rand der Lichtung angebunden war. »Ich darf ihn doch nehmen, Magnus, er ist doch brav?«
Der Hengst folgte ihr gutmütig ans Feuer, als sie ihn losband. Amra sah sich suchend um.
»Eine Lanze brauchen wir noch oder …«, nach kurzem Blick über die Planwagen wurde ihr klar, dass sich hier vielleicht das eine oder andere Schwert, aber sicher keine Lanze verbergen würde, »… oder irgendetwas Persönliches.« Sie zeigte auf einen blauen Schal, unter dem Gesine fast ihre ganze zwergenhafte Figur verbarg. »Euer Schal, Frau Gesine. Und Ihr könnt auch gleich die erste Frage stellen.«
Die Zwergin lachte und warf ihr das aus grober Wolle gefertigte Schultertuch zu, Amra breitete es sorglich auf dem Boden aus. »Und nun? Was soll Euch das Orakel verraten?«, fragte sie.
Gesine kicherte.
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