Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)
Brei in eine Schüssel, der Hund knabberte ihr zu Füßen an einem Knochen.
»Hübsch bist du!«, sagte das andere lächelnd und ließ neugierige Blicke über Amras hohe Gestalt und ihr prächtiges rotes Haar wandern. »Und siehst aus wie eine Dame. Ihr seht beide aus, als wärt ihr oft mal Gast an Königshöfen.«
»Gunda, nun lass sie doch erst mal essen. Und stell keine neugierigen Fragen. Oder haben wir dich gefragt, wie du auf die Straßen gekommen bist?«, ermahnte Graubart.
Das junge Mädchen lachte. »Das ist kein Geheimnis, Alter, ich bin auf der Straße geboren«, meinte es dann und füllte auch eine Schale für Magnus, der eben dazukam und gleich heißhungrig darüber herfiel.
»Nicht so hastig«, mahnte die Zwergin. »Sonst wird dir nur schlecht. Also gut, ihr sagt uns nicht, wo ihr herkommt und vor wem ihr weglauft. Aber ein Ziel müsst ihr doch haben. Irgendeinen Plan.«
»Der Plan war, am Leben zu bleiben«, sagte Amra ehrlich. »Ansonsten …«
»Wir müssen irgendeinen Marktflecken erreichen«, meinte Magnus zwischen zwei Bissen. »Wir haben kein Geld, aber ein paar Dinge, die wir verkaufen können.«
»Die Rüstung und die Pferde«, bemerkte Tiberius, der Artist. Die Schausteller mochten keine Diebe sein, aber das Hab und Gut ihrer Gäste hatten sie sich doch angesehen. »Gestohlen?«
Amra schüttelte energisch den Kopf. »Die Pferde nicht!«, erklärte sie entrüstet.
Die Schausteller lachten schon wieder, aber es war ein gutmütiges Lachen.
»Und die Rüstung ist … hm … erbeutet.«
Amra wusste nicht, ob man das so sagen konnte, aber schließlich hatte sie Vaclav zu Boden geschlagen, und er war nicht wieder aufgestanden. Bei einem Turnier hätte man sie zweifellos zur Siegerin des Treffens erklärt.
»Aha«, meinte Graubart. »Nun, der nächste Marktflecken hier wär wohl die Mikelenburg. Aber da kommt ihr ja nun gerade her.«
Amra versuchte, sich zurückzuhalten, aber sie konnte nicht verhindern, dass ihr wieder das Blut ins Gesicht stieg. Wie hatte der Mann das ahnen können?
»Wir kommen aus …«
Magnus setzte zu einer weiteren Schwindelei an, aber Graubart legte den Finger auf die Lippen. »Psst. Nicht lügen. Was uns angeht, so ziehen wir nach Rostock, über Güstrow. Ein kleiner Markt, aber ein paar Kupferstücke wird’s wohl bringen, um Proviant zu kaufen und Heu für die Pferde. Wenn ihr mitkommen wollt …«
»Wenn wir mit euch reisen dürften … Ich würde euch eure Ausgaben selbstverständlich vergüten«, sagte Magnus. »Und das Wagnis, das ihr damit eingeht.«
Er schlang eben seine dritte Portion Brei hinunter, und die Zwergin schob ihm obendrein Brot und Käse hin. Seine Gier war ihm sichtlich peinlich, aber er hatte zu lange gehungert, um sich jetzt zurückzuhalten. An sich wünschte er sich nichts mehr, als in der Sicherheit dieser Gesellschaft weiterreisen zu können, er sorgte sich jedoch auch darum, die Leute zu gefährden.
»Es könnte sein, dass … dass jemand nach uns sucht«, erklärte er.
Graubart lächelte. »Das ist naheliegend, wenn man aus dem Gefängnis ausgebrochen ist«, neckte er. »Aber keine Sorge, in unseren Wagen findet euch keiner. Was allerdings die Vergütung angeht … ich würd euer Zeug nicht in Güstrow verkaufen. Zu nah an der Mikelenburg und zu klein, ihr könntet es höchstens beim Juden versetzen, und viel wird der euch nicht geben. Geht ja auch ein Wagnis ein, wenn er sich womöglich erwischen lässt mit so heiklem Gut.«
»Vielleicht können wir ja für euch arbeiten«, schlug Amra vor. »Ich könnte … na ja, für euch kochen oder nähen oder …«, so recht fiel ihr nichts ein, wofür man sie vielleicht brauchen konnte.
Graubart schüttelte den Kopf. »Nein, danke, aber wir brauchen keine Dienstboten. Hier sind alle gleich, Kind, alles Geld kommt in eine Tasche und wird dann verteilt. Ihr könnt gern mit uns bis Rostock kommen, aber dann müsst ihr euch was anderes suchen. Es sei denn …«, er warf einen prüfenden Blick auf seine jungen Gäste, »… es sei denn, ihr versteht euch auf eine der Künste, die man auf Jahrmärkten entlohnt.«
Magnus, der Gunda und ihre Freundin eben schon argwöhnisch gemustert hatte, fuhr auf. »Ihr denkt doch nicht, dass sich Amra …«
Amra gebot ihm mit einer Handbewegung Schweigen. »Ich verstehe mich auf orientalischen Tanz!«, sagte sie dann. »Und … und ich kann aus der Hand lesen.«
Letzteres hatten Basima und Dschamila mitunter zum Zeitvertreib betrieben. Sie hatten nicht
Weitere Kostenlose Bücher