Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)
unauffällig die vor der Kapelle wartende Ritterschaft musterte.
Nein, sie kannte niemanden der Männer, zudem hatten weder Jaromars Ritter noch die wenigen Männer des Grafen auch nur einen Blick für die Gattin eines Bauern. Auch Fürst Jaromar beachtete sie kaum, er quittierte ihren Hofknicks nur mit einem knappen, anerkennenden Nicken. Magnus beugte ebenfalls das Knie vor dem Fürsten, was seinen Stolz sicher hart ankam. Als Ritter hätte eine Verbeugung genügt.
Jaromar, ein mittelgroßer Mann mit rundem Gesicht, ernsten braunen Augen und gestutztem, aber üppigem Bartwuchs nickte auch ihm freundlich zu. »Ich hoffe, es gibt keine großen Schwierigkeiten in deiner Gemeinde«, wandte er sich an Magnus. »Man hat den alten Ortsvorsteher abgesetzt, wie ich sehe?«
Magnus beeilte sich zu versichern, dass Zwonimir freiwillig auf das Amt verzichtet habe. »Er fühlte sich zu alt«, behauptete er.
Jaromar runzelte die Stirn. So alt war Zwonimir schließlich noch nicht, und die meisten Dorfvorsteher mochten ihr Amt.
»Fehlt ihm etwas?«, fragte er jetzt. »Ist er krank?«
Magnus suchte sichtlich eine Ausflucht, aber bevor er noch etwas sagen konnte, kam ihm Amra zu Hilfe.
»Er würde nicht wollen, dass wir darüber reden, mein Fürst«, sagte sie sanft. Es klang, als läge Zwonimir im Sterben.
Jaromar schürzte die Lippen, seine Miene drückte aufrichtiges Bedauern aus. Und vielleicht etwas Verwunderung darüber, dass die Bäuerin es wagte, das Wort an ihn zu richten.
»Versichert ihn meiner Anteilnahme«, bemerkte er schließlich. »Ich werde für ihn beten. Jetzt kommt, wir werden gemeinsam die Messe hören, und dann sehen wir, wie es mit den Steuern aussieht. Ihr werdet gemerkt haben, dass ich die Forderungen erhöhen musste.«
Magnus nickte. »Es fiel uns nicht leicht, mein Fürst, aber die Ernte war gut. Es braucht niemand zu darben. Aber Ihr habt Recht, zuerst sollten wir Gott loben und ihm dafür danken, dass Ihr wohlbehalten hergefunden habt.«
Der Priester, ein hagerer Mann aus Jaromars Gefolge, öffnete eben die Tür der Kapelle, um die Gläubigen einzulassen. Magnus verbeugte sich noch einmal und ließ dem Fürsten den Vortritt in die Kirche. Als alle ihre Plätze eingenommen hatten, stimmte er in den Psalm mit ein, den der Priester und Jaromar intonierten. Der Fürst sollte an diesem Morgen staunen. Der Dorfvorsteher von Schwarzen See verstand es zu beten.
Kapitel 4
V aclav von Arkona inspizierte den Saal der kleinen Burg gründlich und fand natürlich nichts auszusetzen. Graf Borvin hielt diese Festung seit Jahren, und der Gerichtstag lief immer gleich ab. Der Saal war ordentlich vorbereitet, geschmückt mit den Schilden und Wappen der Fürsten von Rujana, aber auch den Farben des dänischen Königshauses. Seit Jaromar Hof hielt, hing zudem ein gut sichtbares Kreuz über dem erhöhten Platz des Fürsten. Für Jaromars Ratgeber – seinen Priester sowie den Vorsteher des Dorfes – gab es niedrigere Sitze, aber auch ihnen würden Wein und Erfrischungen gereicht werden. Die Ritterschaft durfte dem Verfahren beiwohnen, für die Männer gab es Bänke an der Wand des Palas. Und an einem Seitentisch war ein Schreiber platziert, der notierte, wie viele Säcke Getreide und Fuder Heu die Dorfgemeinschaft abführen konnte. Der Schreiber verglich das mit den Forderungen des Fürsten, und wenn es Differenzen gab, hatte der Dorfvorsteher die Sache zu erklären. Es gab immer wieder Familien, denen der Zehnte gestundet oder erlassen werden musste, weil sie mehr oder weniger unverschuldet in Not geraten waren.
Vaclav schaute sich den Tisch des Schreibers und die dort schon gelagerten dicken Folianten zum Eintragen der Abgaben genau an, obwohl er von Buchhaltung nicht das Geringste verstand. Die Inspektion des Palas war jedoch seine Ausrede, um die Messe zu versäumen, und da nutzte er jede sich bietende Gelegenheit. Vaclav war schon an verschiedenen Höfen gewesen, aber nirgendwo hatte man so viel gebetet wie bei Jaromar. Der Fürst verlangte von seinen Rittern, mindestens einmal täglich der Messe beizuwohnen. Er sprach vor jedem Mahl endlose Tischgebete und hielt den Bischof für seinen engsten Freund. Um seiner Exzellenz Bischof Absaloms willen wollte er den Gerichtstag in diesem abgelegenen Winkel seines Reiches heute auch so schnell wie möglich hinter sich bringen. Der Geistliche hatte sich für den nächsten Morgen zu einem Besuch angesagt. Jaromar wünschte sich, ihn gleich zur Frühmesse willkommen
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