Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)
heißen zu können, er musste also noch am Abend nach Arkona zurückreiten.
Vaclav selbst hätte lieber weniger gebetet und mehr gekämpft, unter Fürst Jaromar war auf Rujana hingegen Frieden eingekehrt. Natürlich hatte er seinem Lehnsherrn König Waldemar Truppen gestellt, als der sich in seinen Streitigkeiten mit Herzog Heinrich verloren hatte, doch seit sich die beiden Fürsten wieder versöhnt hatten, gab es für ranische Ritter nicht mehr viel zu tun. Allerdings hatte Jaromar Vaclav als seinen früheren Waffengefährten freundlich aufgenommen. Er erinnerte sich an die gemeinsam gefeierte Schwertleite, fragte den Ritter nach seinen Abenteuern im Dienste des Dänenkönigs aus und hielt ihn auf Arkona. Er hätte ihn auch mit einem Hofamt betraut, aber davon gab es nicht viele, und Jaromar mochte keinen seiner treuen Diener entlassen, nur um Platz für Vaclav zu schaffen. Das galt auch für ein Lehen. Es gab nur wenige Burgen auf der Insel, und die hatten seit Jahrzehnten ihre Herren.
Jaromar beschäftigte Vaclav also hauptsächlich als Waffenmeister für die wenigen Knappen, was weder den Jungen noch dem Ritter gefiel, da es ihm zwar nicht an Strenge, wohl aber an Geduld mangelte. Darüber hinaus wurde er zur Erledigung verschiedenster Aufträge über Land geschickt. Vaclav brachte säumige Schuldner zuverlässig dazu, ihre Abgaben zu entrichten, und wenn ein Fischerdorf alte Bräuche wieder aufgriff und ein dänisches Schiff aufbrachte, so fand er immer jemanden, der das Vergehen gestand und die Schuldigen verriet. Sofern jemand an Jaromars geliebtem neuen Glauben zweifelte und im Verdacht stand, heimlich den alten Göttern zu opfern, dann genügte schon ein Blick in Vaclavs grimmiges, verunstaltetes Gesicht, um den Sünder auf den Pfad der Tugend zurückzubringen.
Jaromar war denn auch zufrieden mit seinem Untergebenen. Er ließ Vaclav in seiner Leibgarde mitreiten und würde ihn wohl auch an diesem Tag mit dem Schutz der Leiterwagen betrauen, auf denen die Abgaben der hiesigen Bauern und Fischer nach Arkona transportiert wurden. Vaclav lechzte allerdings nach Höherem. Der Herr der Burg Karentia, Graf Bolek, war alt und würde kinderlos sterben, und Vaclav war entfernt mit ihm verwandt. Wenn er sich also Jaromars Gunst erhielt, konnte der Fürst ihn mit diesem Lehen betrauen. Vaclav dachte zum wiederholten Mal an den Tempelschatz des Svantevit, den er damals vor dem Dänenkönig in Sicherheit gebracht hatte. Das Silber befand sich noch in seinem Versteck, bewacht vom Geist des Hohepriesters Muris, den Vaclav zu seinen Ahnen geschickt hatte, um sich des Mitwissers zu entledigen. Vaclav hatte nachgesehen, als er auf die Insel zurückgekehrt war. Wenn der Burgherr von Karentia starb, konnte Vaclav den Schatz »finden« und Jaromar aushändigen. Sicher ließ sich eine wunderschöne Kirche damit bauen.
Vaclav grinste. Und beeilte sich, die Inspektion des Saales zu beenden. Die Glocken verkündeten eben das Ende des Gottesdienstes in der Kapelle und in der Dorfkirche. Wenn es Vaclav gelang, sich unauffällig unter die Ritter zu mischen, würde Jaromar nicht einmal auffallen, dass er die Messe versäumt hatte.
Jaromar fiel an diesem Morgen gar nichts auf, was seine Ritter anging, er war zu angetan von dem jungen Dänen Magnus, der neuerdings diesem Dorf am äußersten Ende seines Herrschaftsbereichs vorstand. Auch dessen Gattin war entzückend – soweit man das von einer Bauersfrau sagen konnte. Beide verstanden sich auf christliche Gebete und Bräuche, sie bekreuzigten sich im richtigen Moment, nahmen den Leib des Herrn gefasst entgegen, und nun zeigte sich auch noch, dass der junge Dorfvorsteher recht gewandt zu plaudern verstand. Er verabschiedete seine Frau sofort, als Jaromar auch nur andeutete, die Abläufe dieses Gerichtstages beschleunigen zu wollen, und sie zog sich ohne ein Wort mit einem Hofknicks zurück. Der junge Mann begleitete Jaromar von der Kapelle zum Palas, wobei er sich respektvoll zwei Schritte hinter ihm hielt und ihn dabei schon mal über die wichtigsten Dinge rund um die Abgaben seines Dorfes in Kenntnis setzte. Einem der Dörfler war das Haus abgebrannt. Er hatte Vieh verloren, und Magnus schlug vor, ihm den Zehnten zu erlassen, damit er die Bestände wieder aufstocken konnte und nicht noch weiter in Armut versank.
»Der Borut ist ein fleißiger Kerl, der sich bestimmt bis zum nächsten Jahr wieder erholt hat. Für den Blitzschlag kann er nichts, Gott sei Dank ist wenigstens die
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