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Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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wirklich? Liebt er dich genug, um mit dir zu fliehen?«
    Es war ganz einfach für Amra, mit Nadjana die Plätze zu tauschen. Die Nacht hatte ihren Schleier bereits über die Burg gelegt, als die vierzig Geiseln, begleitet von einer Abordnung ranischer Ritter, durch die Tore von Arkona schritten. Admirs Entscheidung, sie gleich an diesem Abend fortzuschicken, hatte Unmut ausgelöst, allerdings auch erleichterte Reaktionen bei den nicht direkt betroffenen Familien. Nach dem Brand in der vergangenen Nacht fürchteten viele Menschen erneute Anschläge der Belagerer, es war sicher gut, den Dänenkönig durch rasche Entsendung der Geiseln friedlich zu stimmen.
    Bis zu den Toren hatten die Familien, aber auch viele Nachbarn und Freunde aus Vitt und Puttgarden, die dreißig Männer und zehn Frauen, die hier einer ungewissen Zukunft entgegengingen, begleitet. Lediglich die Priester des Svantevit ließen sich nicht blicken – Muris machte deutlich, dass er die Entscheidung Vaclavs und der Volksversammlung nicht billigte. Und auch Vaclav selbst blieb verschwunden, was im Volk großen Ärger auslöste. Das Mindeste, was die Geiseln und ihre Familien erwarten konnten, war schließlich ein ehrenhafter Abschied durch einen Vertreter des Königshauses, der Verständnis zeigte und Trost spendete. So aber nannte man Vaclav feige und äußerte lauthals die Vermutung, er sei übers Meer geflohen und habe die Menschen auf der Burg sich selbst überlassen. Auch für König Tetzlav fand keiner mehr ein gutes Wort – er hätte da sein und Arkona verteidigen müssen, statt sich in Karentia zu verkriechen und abzuwarten, was Vaclav mit der Burg anstellte.
    So hatten Admir und die anderen Männer der Volksversammlung getan, was sie konnten, um den Abschied der Geiseln feierlich zu gestalten. Der Platz war von Fackeln erleuchtet, und Admir hielt eine Rede. Er versprach, dass zumindest die Volksvertreter alles dafür tun würden, die Kapitulationsauflagen rasch zu erfüllen und damit die Geiselhaft der vierzig jungen Menschen so weit als möglich zu verkürzen. Die Bürger von Vitt und Puttgarden jubelten ihm dafür zu, auch wenn die klügeren unter ihnen sich denken konnten, dass die Volksversammlung kaum Einfluss haben würde. In Dänemark und in den christianisierten slawischen Gebieten, aus denen die Eroberer kamen, regierten allein König und Adel. Man würde die Bürger also sicher auch auf Rujana bald gänzlich entmachten.
    Schließlich wurden Feuer neben den Wachtürmen entzündet und Ritter mit Fackeln vorausgeschickt, um den Dänen zu signalisieren, dass sie nicht mit einem Ausfall der Belagerten rechnen mussten. Während sich die Tore öffneten, umarmten die Geiseln noch einmal ihre Familien. Alles redete, weinte, nahm Abschied – und niemandem fiel auf, dass Amra an die Stelle Nadjanas trat, während Pridbor seine Freundin fortführte. Der junge Ritter kannte den Wächter an den Klippen – der Mann würde wegschauen, wenn er herunterkletterte und Nadjana dabei den Weg wies. Es war gefährlich bei Nacht, aber Nadjana war bereit, alles zu tun, um nur der Geiselhaft zu entkommen. Pridbor wollte sich mit ihr zu den Booten durchschlagen und nach Stralow segeln. Alles Weitere sah man dann.
    Amra wünschte den beiden alles Glück der Welt. Streng genommen war es Fahrenden Rittern nicht einmal erlaubt zu heiraten. Wie Pridbor ohne Land eine Frau ernähren wollte, wusste sie nicht, aber er und Nadjana mussten damit selbst fertig werden. Amra hatte mit ihrem eigenen Abenteuer genug zu tun. Sie zog Nadjanas Schleier sorglich über Gesicht und Haar, als sie mit den anderen Geiseln durch die Tore trat und Burgbefestigung und Erdwälle hinter sich ließ. Zum Glück bemerkte niemand etwas, die anderen Mädchen und Frauen trauerten verzweifelt um den Verlust ihrer Heimat und ihrer Familien. Keine Einzige trat den Belagerern mit offenem Blick entgegen, und so hielt auch Amra den Kopf gesenkt, obwohl sie darauf brannte, sich im Feldlager der Dänen umzusehen. Während der Übergabezeremonie, zu der sich König und Ritterschaft rasch versammelten, linste sie dann doch vorsichtig unter ihrem Schleier hervor und erkannte König Waldemar auf einem großen Schimmel. Der Dänenkönig war ein blonder, hochgewachsener Mann – ein bisschen ähnelte er Magnus, die Verwandtschaft zwischen den beiden war gut erkennbar. Er sprach mit lauter, befehlsgewohnter Stimme, die aber einen angenehmen Klang hatte. Sicher verstand er es sehr gut, sein Volk für sich zu

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