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Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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Und wir schauen den Rittern beim Üben für den Kampf zu. Wenn einer uns fragt, ob wir seine Minnedame sein wollen, und wir zustimmen, dann beraten wir uns mit ihm. Er erzählt uns von seinen ritterlichen Taten, und wir loben ihn für Tapferkeit oder tadeln seine Fehler. Er rühmt unsere Schönheit und erzählt uns, was er alles tun will, um seinen und unseren Ruhm zu mehren. All das eben …«
    Wahrscheinlich hatte es am englischen Hof nicht viele Ritter gegeben, die Melisandes Schönheit gerühmt hatten, und wenn doch, so hatte sie ihnen die Schmeicheleien nicht geglaubt. Amra sollte später herausfinden, dass sich die junge Kammerfrau aus keiner der höfischen Vergnügungen viel machte, außer aus der Falkenjagd. Melisande war glücklich, wenn sie ausreiten konnte, sie liebte ihr Pferd und ihre Hunde, die mit ihr aus England gekommen waren, und sie hatte ihren Jagdfalken selbst ausgebildet. Wann immer sie dem Hof entfliehen konnte, fand man sie in den Ställen. Dort trafen sie schließlich weder spöttische noch mitleidige Blicke. Abgesehen von einer der anderen Kammerfrauen, der fettleibigen Joana, war Melisande das am wenigsten attraktive Mädchen in Mathildes Gefolge, und die anderen ließen es sie spüren.
    »Du wirst jedenfalls schnell bemerkt werden«, schloss die junge Frau schließlich ihre Schilderung des Hoflebens. »Die jungen Ritter werden sich um dich reißen, so schön, wie du bist. Und Freundinnen wirst du auch finden, spätestens, wenn andere Mädchen zur Erziehung an den Hof kommen. Herzog Heinrich beherrscht doch viele slawische Gebiete, nicht wahr? Bestimmt schicken die Fürsten bald ihre Töchter, dann kannst du auch wieder deine Sprache sprechen. Kannst du singen und tanzen und spielst du die Laute? Nein? Na ja, das lernst du hier schnell … Geh einfach mit, wenn Herzogin Mathilde und ihre Mädchen etwas unternehmen.«
    Amra mischte sich also wie geheißen unter den Hofstaat der jungen Herzogin, der sich meist im Frauentrakt der Burg oder im angrenzenden Rosengarten vergnügte. Die Anlage war äußerst luxuriös, nicht zu vergleichen mit der schlichten Fluchtburg Arkonas. Die Kemenaten waren mit weichen Teppichen ausgelegt und mit bequemen Sesseln und Bänken ausgestattet. Die Truhen quollen über vor Schmuck und Kleidern und von Stoffen, die zu solchen verarbeitet werden konnten. Die Fenster, in Arkona sommers und winters offen oder allenfalls mit Tüchern verhängt, um die Kälte auszusperren, waren mit Pergament verkleidet, um Zugluft abzuhalten. Diese Neuerung hielt die Wärme drinnen, ließ aber trotzdem gedämpftes Licht von draußen hereinfließen. Jeder Raum verfügte über eine Feuerstelle oder – für Amra ein wahres Wunder – tatsächlich eine Fußbodenheizung. Dazu wurde heißes Wasser durch Röhren unter dem Dielenboden geführt, eine angeblich seit der Römerzeit bekannte Technik, die sich in slawischen Burgen allerdings nie durchgesetzt hatte.
    Ein wahrer Traum war auch der Garten, in dem die Damen umherwandern, sitzen oder spielen konnten. Amra hatte bislang nur Küchengärten gekannt, Blumen wuchsen auf Rujana lediglich wild am Rand der Felder und Wiesen. Hier dagegen pflanzte man Rosen und Lilien, nur um ihrer Schönheit und ihres Duftes willen. Man hatte Lustgärten gestaltet, durch die verschlungene Wege führten mit pflanzenüberwucherten Nischen und Pavillons, in denen Bänke zum Verweilen einluden. Für Mathilde und ihre Freundinnen schien das alles eine Selbstverständlichkeit zu sein. Amra hörte zu, wie die Mädchen über Kleider und Tanz schwatzten, die jungen Ritter beim Kampfspiel einer Musterung unterzogen – und sie versuchte, nicht die Fäuste zu ballen, als die hellblonde Marguerite davon schwärmte, wie sie den schönen Ritter Magnus von Lund hatte küssen dürfen. Peinlich berührt lauschte sie den Tändeleien der jungen Mädchen mit den Rittern, die sie nachmittags im Garten besuchten, und wartete herzklopfend auf Magnus. Aber der schloss sich seinen Waffengefährten beim Frauendienst nicht an.
    Amra machte sich nützlich, indem sie Melisande und Joana beim Aufräumen oder beim Richten der Garderobe der Herzogin oder der jüngeren Mädchen half, viel gab es jedoch nicht zu tun. Schließlich eilten neben den adligen Kammerfrauen, die nur Leibdienste zu verrichten hatten, auch noch Dutzende von Bediensteten um die Herzogin und ihren Hof herum. Wann immer eine der Damen einen Wunsch äußerte, wurde er sofort erfüllt.
    Amra genoss das ein paar Tage lang,

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