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Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Geisel des Löwen: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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fühlte sich dann aber bald gelangweilt, zumal sie nicht wagte, etwas Neues anzufangen. Sie hätte gern gelernt, die Laute zu spielen, alle anderen Mädchen schienen sich jedoch seit Jahren in dieser Kunst zu üben, und so mochte sie die Musiker nicht behelligen, die die Hofdamen und jungen Ritter unterrichteten. Auch die Tänze waren ihr fremd, zu denen sich Mathildes Gespielinnen und manchmal Ritter zusammenfanden. Am Hof zu Arkona war gar nicht getanzt worden – sofern man Dschamilas und Basimas aufreizende Bauchtänze nicht hinzuzählte –, und zu den Rittern hatten die Frauen ohnehin kaum Kontakt gehabt. Es war eine Besonderheit der Minnehöfe, dass die Geschlechter sich mischten, auch für Herzog Heinrich schien das eher neu zu sein. Er lud seine Gemahlin und ihr Gefolge nur selten zum Mahl in den Kreis seiner Ritter.
    Bislang war Burg Dankwarderode nicht oft von Spielleuten und Minnesängern aufgesucht worden, aber Mathilde würde das auf lange Sicht bestimmt ändern. Die kleine Herzogin stand ihrem Hof mit großem Ernst vor, obwohl sie vom Ruhm ihrer Mutter Eleonore natürlich noch weit entfernt war. Wenn Amra das Mädchen beobachtete, empfand sie oft vages Mitleid. Mathilde entspannte sich eigentlich nur, wenn sie mit ihren fünf gleichaltrigen Freundinnen im Garten spielte. Dort rief und rannte sie, versteckte sich und lachte – um sich kurz darauf wieder an ihren Auftrag und die damit verbundene Würde zu erinnern. Dann spielte sie brav mit einem Ritter Schach oder redete kundig und in gesetzten Worten über Jagd und Turniere.
    Als Herrin eines Minnehofes hätte Mathilde sich eigentlich um die ihr anvertrauten Mädchen kümmern müssen, aber das überließ sie Aveline und Mariana. Auch über Amra sah die Herzogin hinweg.
    Bis der Herzog in der zweiten Woche nach der Hochzeit sein »Geschenk« zu sich beorderte.
    Der Ruf nach Amra erfolgte diskret durch einen jungen Pagen. Sie sollte sich im Anschluss an das Nachtmahl bereithalten, der Knabe würde sie abholen und in die Gemächer des Herzogs begleiten.
    Amra erwartete ihn herzklopfend – und voller Scham. Was sollten Melisande, Joana und die beiden anderen Frauen denken, mit denen sie die Kammer teilte? Es konnte ihnen schließlich kaum entgehen, wenn sie sich bei Einbruch der Nacht hinausschlich!
    Dann zeigte sich allerdings, dass Herzog Heinrich an alles gedacht hatte. Am Nachmittag waren Spielleute aus England eingetroffen, er hatte sie erst beim Nachtmahl der Ritter aufspielen lassen und sie dann in die Frauengemächer weitergeschickt. Mathilde, begierig nach Abwechslung und Nachrichten von ihrem Heimathof, empfing sie sofort, und auch Melisande und die anderen Mädchen aus Amras Schlafkammer drängten sich in ihrer Kemenate, um zu hören, was die Sänger und Musikanten zu berichten und darzubieten hatten. Selbst Aveline und Mariana hielten ein Auge auf ihre Schützlinge. Die Spielleute waren schließlich gut aussehende junge Männer.
    Amras Abwesenheit bei der Darbietung würde sicher niemandem auffallen außer Mariana, doch die wusste schließlich, warum man sie hergeschickt hatte. Amra wurde übel, wenn sie nur daran dachte, und beschloss, sich dem Herzog zumindest nicht darzubieten wie eine Hure. So kleidete sie sich nicht für die Audienz um – was allerdings sicher nicht den gleichen Effekt haben würde wie damals ihr Erscheinen in Schürze und Hauskleid bei dem Ranen Vaclav. Die Hofdamen der Herzogin waren immer festlich gekleidet, selbst ihre schlichtesten Hauskleider übertrafen die prächtigsten Gewänder der Frauen auf der Burg Arkona. Amra befand auch ihre Lockenpracht als zu aufreizend. Schließlich flocht sie das rote Haar zu zwei strammen Zöpfen und ließ sie schmucklos über ihren Rücken fallen.
    Der Page musterte sie sichtlich enttäuscht, als er pünktlich erschien, um sie in die Gemächer seines Herrn zu geleiten. Amra folgte ihm unglücklich.
    Als Amra Heinrichs Kemenate betrat, bewahrheiteten sich dann ihre schlimmsten Befürchtungen. Der Herzog trug nur noch sein Untergewand, Rock und Stiefel hatte er bereits abgelegt, seine Füße steckten in weichen, ledernen Hausschuhen. Seine Räumlichkeiten waren groß und prunkvoll ausgestattet. An der Wand hingen Waffen und Schilde, die Möblierung war ebenso kostbar wie die Sessel, Tischchen, Betpulte und Truhen in Mathildes Schlafgemach und Wohnräumen. Auf dem Gebetspult lag aufgeschlagen eine wertvolle, goldverzierte Bibel. Das späte, durch die hohen Fenster in den Raum fallende

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