Die Geisel
und blickte zu Boden. »Ja, das ist richtig.«
»Vor der Geburt, aber trotzdem. Das ist hart, oder?«
Maja blickte zu ihr auf. »Ja, das ist hart.«
»Können Sie noch welche bekommen?«
Die direkte Frage überraschte Maja, und sie holte tief Luft, ehe sie antwortete. »Wahrscheinlich nicht.«
In den glasigen Augen der Frau war ein gewisses Mitgefühl zu erkennen. »Alle haben es so verdammt eilig, dein Kind zu begraben … Stimmt doch, oder?« Sie schaute kurz zu ihrem Mann hinüber, der ihrem Blick auswich.
»Ja, das stimmt.«
»Die haben keine Ahnung, wie eine Mutter sich fühlt«, fügte sie hinzu und zog lange an der Zigarette. Mit einer Grimasse stieß sie den Rauch aus einem Mundwinkel aus. »Aber Sie glauben also, dass Timmie noch lebt?« Sie sah abwechselnd Maja und Katrine an.
»Ja«, antwortete Maja rasch.
»Das hoffen wir«, ergänzte Katrine.
Timmies kleine Schwester drehte sich um sich selbst, während sie sang: »Timmie … Limmie … Kimmie … Timmie …«
Die Frau wandte ihr rasch den Kopf zu. »Hör auf damit. Geh in dein Zimmer spielen.«
Das Mädchen schaute ihre Mutter beleidigt an und ließ das Nachthemd wieder über ihre Knie sinken. Sie blickte in die Runde und suchte vergeblich nach einem Lächeln.
»Sofort!«
Das Mädchen drehte sich um, lief zur hintersten Tür und knallte sie hinter sich zu. Die Frau wandte sich an Maja. »Warum glauben Sie, dass er noch lebt?«
Maja schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht genau sagen. Wir sind die ganze Nacht noch mal alles durchgegangen, und um ehrlich zu sein, bin ich dadurch nicht klüger geworden. Deshalb sind wir noch mal zu Ihnen gekommen. Um vielleicht irgendwelche Informationen zu erhalten, die uns weiterhelfen. Was Ihr Mann von dem Antiquariat erzählt, ist interessant. Vielleicht fahren wir dorthin und fragen, ob jemand Timmie gesehen hat.«
»Haben die Bullen das nicht längst gemacht?«, fragte sie mit Blick auf Katrine.
»Manchmal schadet es nicht, noch einen Versuch zu unternehmen«, sagte Katrine.
»Klar«, entgegnete die Frau. »Was wollen Sie wissen?«
In den nächsten zwanzig Minuten redeten sie über verschiedene Dinge, die Timmie betrafen, auch über seine Situation in der Schule, die problematisch war. Sie erhielten die Namen mehrerer Kinder, mit denen er Kontakt hatte, und ließen sich genau seinen Schulweg erklären. Alles Dinge, die Katrine längst untersucht hatte. Dennoch notierte sie alles noch mal.
Schließlich fragte Maja, ob sie sein Zimmer sehen dürften.
»Sein Zimmer? Ja, warum nicht. Die Kinder haben zusammen das hinterste Zimmer.« Die Frau wies auf die Tür, hinter der Timmies Schwester verschwunden war.
Maja betrat das kleine, dunkle Kinderzimmer, dicht gefolgt von Katrine und ihrer Mutter. Timmies kleine Schwester saß auf einem Bett und hatte ihre Teddybären um sich versammelt. Es sah aus, als feierten sie Geburtstag. Maja lächelte sie an. Das kleine Mädchen hörte auf zu singen und schaute neugierig zu Maja hinüber. Auf dem Bett gegenüber saß ihre große Schwester und spielte mit ihrem Gameboy. Ein zehnjähriges untersetztes Mädchen, das ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten war. Sie warf ihnen einen uninteressierten Blick zu, während sie weiterspielte. »Was ist?«, murmelte sie.
»Da hinten hat Timmie sein Bett«, sagte die Mutter und zeigte mit der Zigarette zum Ende des Zimmers. Dort stand ein Hochbett mit einer Leiter. Der Platz unter der Matratze lag hinter einem dunklen Sternenvorhang verborgen.
Maja trat an das ungemachte Bett. Im Kissen sah man immer noch den Abdruck eines Kopfes, und obwohl der auch von einer der Schwestern stammten konnte, die womöglich dort hinaufgeklettert war, schnitt der Anblick Maja ins Herz. »Ist es in Ordnung, wenn ich mal einen Blick hinter den Vorhang werfe?«, fragte sie.
»Ja, natürlich«, antwortete die Mutter.
Maja zog den Vorhang zur Seite und sah einen Schreibtisch und einen Stuhl. An der Wand daneben waren ein paar Regalbretter angebracht, auf denen Timmies Comics sorgsam aufgereiht waren. Darunter standen zwei Plastikkisten mit Lego. Maja warf einen Blick auf den Schreibtisch, auf dem eine Lupe, ein Paar Plastikhandschellen und eine Spielzeugpistole lagen. »Er liebt so was mit Spionen und Detektiven«, sagte seine Mutter von der Tür aus. »Wollen Sie noch etwas sehen?«
Katrine schüttelte den Kopf. »Nein, vielen Dank für die Hilfe«, antwortete sie.
Die Frau nickte und stapfte zurück ins Wohnzimmer.
»Wollen
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