Die Geisha - Memoirs of a Geisha
zum erstenmal eine Geliebte zu nehmen. Und ich bin ganz sicher, daß er Interesse an Sayuri bekundet hat.«
»Warum sollte es mich kümmern, daß er Interesse an Sayuri zeigt?« fragte Mutter. »Diese Militärs sind niemals in der Lage, eine Geisha so zu versorgen, wie es einem Geschäftsmann oder Aristokraten möglich wäre.«
»Das mag zutreffen, Frau Nitta. Aber ich glaube, Sie werden feststellen, daß General Tottoris neue Position für die Okiya von großem Vorteil sein könnte.«
»Unsinn! Ich brauche keine Hilfe bei der Versorgung der Okiya! Ich brauche nichts weiter als ein gesichertes, großzügiges Einkommen, und das kann mir ein Offizier nicht garantieren.«
»Wir hier in Gion haben bisher Glück gehabt«, widersprach Mameha. »Aber wenn der Krieg weitergeht, werden auch wir von den Engpässen betroffen sein…«
»Sicher, falls der Krieg weitergeht«, gab Mutter zu. »Aber der wird spätestens in einem halben Jahr vorüber sein.«
»Und dann wird das Militär eine noch stärkere Position einnehmen als zuvor. Bitte vergessen Sie nicht, Frau Nitta, daß General Tottori der Mann ist, der über sämtliche Ressourcen des Militärs befiehlt. In ganz Japan gibt es niemanden, der besser in der Lage wäre, Sie mit allem zu versorgen, was Sie brauchen, ob nun der Krieg weitergeht oder nicht. Er genehmigt jedes Stück Ware, das in den Häfen von Japan durch den Zoll geht.«
Wie ich später erfuhr, entsprach das, was Mameha über General Tottori sagte, nicht ganz der Wahrheit. Er leitete nur einen von fünf großen Verwaltungsbezirken. Doch da er älter als die Männer war, welche die anderen Bezirke leiteten, könnte man dennoch sagen, daß er die Gesamtleitung hatte. Wie dem auch sei, Sie hätten sehen sollen, was Mutter tat, nachdem Mameha ihr das erklärt hatte. Man konnte fast sehen, wie es in ihrem Kopf arbeitete, während sie sich vorstellte, über die Hilfe eines Mannes in General Tottoris Position zu verfügen. Sie warf einen Blick auf die Teekanne, und ich konnte mir gut vorstellen, was sie dabei dachte: »Nun gut, bis jetzt hab’ ich noch immer genügend Tee bekommen – bis jetzt… Obwohl, der Preis ist tatsächlich gestiegen…« Und dann schob sie, vermutlich ohne zu merken, was sie tat, eine Hand in ihren Obi und drückte an ihrem seidenen Tabaksbeutel herum, als wollte sie prüfen, wieviel Tabak er noch enthielt.
Die folgende Woche verbrachte Mutter damit, in Gion herumzulaufen und ein Telefonat nach dem anderen zu führen, um soviel wie möglich über General Tottori in Erfahrung zu bringen. So vertieft war sie in diese Aufgabe, daß sie mich nicht zu hören schien, wenn ich mit ihr sprach. Ich glaube, sie war dermaßen angestrengt mit ihren Überlegungen beschäftigt, daß ihr Verstand so schwer arbeitete wie eine Lokomotive, die zu viele Waggons ziehen muß.
Während dieser Zeit begegnete ich Nobu jedesmal, wenn er nach Gion kam, und gab mir größte Mühe, so zu tun, als hätte sich nichts verändert. Vermutlich hatte er erwartet, daß ich spätestens Mitte Juli seine Geliebte wäre. Ich selbst hatte das jedenfalls erwartet, doch als sich der Monat dem Ende zuneigte, schienen seine Verhandlungen immer noch zu nichts geführt zu haben. Mehrmals während der folgenden Wochen merkte ich, daß er mich nachdenklich ansah. Und dann grüßte er die Herrin des Ichiriki-Teehauses auf die rüdeste Art, die ich jemals erlebt hatte: Er ging an ihr vorbei, ohne ihr auch nur zuzunicken. Die Herrin, die Nobu als Gast immer geschätzt hatte, warf mir einen Blick zu, der sowohl überrascht als auch beunruhigt war. Als ich mich zu Nobus Party gesellte, fielen mir sofort Zeichen des Zornes auf: ein tanzender Muskel an seinem Unterkiefer, eine gewisse Knappheit der Gesten, wenn er sich Sake in den Mund kippte. Ich konnte ihm dieses Verhalten nicht übelnehmen. Er mußte mich für herzlos halten, weil ich ihm die vielen Zeichen seiner Freundschaft mit Vernachlässigung vergalt. Bei diesen Überlegungen überfiel mich eine ungemein traurige Stimmung, bis das Geräusch einer Saketasse, die mit einem klack vor mir auf den Tisch gestellt wurde, mich unvermittelt in die Realität zurückriß. Als ich aufblickte, sah ich, daß Nobu mich beobachtete. Rings um ihn herum lachten und amüsierten sich die Gäste, während er, den Blick auf mich gerichtet, dasaß, als wäre er genauso in Gedanken versunken wie ich. Wir glichen zwei nassen Flecken inmitten glühendheiß brennender Holzkohle.
26. KAPITEL
Im September
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