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Die Geisha - Memoirs of a Geisha

Titel: Die Geisha - Memoirs of a Geisha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur Golden
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»Außerdem wäre es ein Sakrileg, den süßen Reiskuchen zu essen. Er ist eine Opfergabe.«
    Dann bückte sie sich und hob den Holzspieß auf.
    Gewiß, dort, wo ich aufgewachsen war, steckten die Kinder alles in den Mund, was sich bewegte. Und ich gebe zu, daß ich mit vier oder fünf einmal eine Grille verschluckt habe – aber auch nur, weil mich jemand reingelegt hatte. Doch als ich Kürbisköpfchen da stehen sah, wie sie den Stock mit diesem Stück Tintenfisch in der Hand hielt, auf dem noch der Straßenschmutz klebte und auf dem die Fliegen herumspazierten… Sie pustete, um sie zu vertreiben, aber die Fliegen wichen nur aus, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
    »Das kannst du nicht essen, Kürbisköpfchen«, ermahnte ich sie. »Das ist das gleiche, wie wenn du mit der Zunge die Pflastersteine ableckst.«
    »Was hast du gegen Pflastersteine?« fragte sie. Und dann – wenn ich’s nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, ich hätte es wirklich nicht geglaubt – ließ sie sich auf die Knie nieder, streckte die Zunge raus und zog sie lange und gründlich über den Boden. Vor Schreck blieb mir der Mund offenstehen. Als Kürbisköpfchen wieder auf die Füße gekommen war, blickte sie drein, als könnte sie selbst nicht recht glauben, was sie da getan hatte. Sie wischte sich die Zunge mit der Handfläche ab, spie ein paarmal aus, schob sich das Stück Tintenfisch zwischen die Zähne und zog es von dem Holzspieß herunter.
    Es muß ein ziemlich zähes Stück Tintenfisch gewesen sein, denn Kübisköpfchen kaute darauf herum, bis wir den sanften Hügel emporgestiegen waren und vor dem Holztor zum Schulgelände standen. Als ich eintrat, hatte ich einen Knoten im Magen, so großartig wirkte der Garten auf mich. Immergrüne Sträucher und knorrige Kiefern umstanden einen dekorativen Karpfenteich. Über die schmalste Stelle des Teiches führte eine Steinplattte. Darauf standen zwei alte Frauen im Kimono und schützten sich mit Lackschirmen gegen die frühe Morgensonne. Was die verschiedenen Gebäude betraf, so begriff ich in diesem Augenblick noch nicht, was ich sah, inzwischen aber weiß ich, daß nur ein winziger Teil des Geländes der Schule vorbehalten war. Das wuchtige Gebäude ganz hinten war das Kaburenjo-Theater, wo die Geishas von Gion in jedem Frühjahr ihre Tänze der alten Hauptstadt aufführen.
    Kürbisköpfchen hastete auf den Eingang eines langgestreckten Holzbaus zu, den ich für das Dienstbotenquartier hielt, der aber in Wirklichkeit die Schule war. Sobald ich diesen Eingang durchschritt, fiel mir der unverwechselbare Duft von gerösteten Teeblättern auf, bei dem ich heute noch Magenschmerzen bekomme, ganz als befände ich mich wieder auf dem Weg zum Unterricht. Ich zog die Schuhe aus, um sie in das nächstbeste freie Fach zu stecken, aber Kürbisköpfchen hinderte mich daran: Es gab eine unausgesprochene Regel, welches Fach man benutzen durfte. Kürbisköpfchen gehörte zu den jüngsten Mädchen der Schule und mußte die anderen Fächer wie eine Leiter hinaufklettern, um ihre Schuhe ganz oben unterzubringen. Da dies mein allererster Schultag war, stand ich im Rang noch unter ihr und mußte das Fach über dem ihren benutzen.
    »Wenn du raufkletterst, sieh zu, daß du nicht auf die anderen Schuhe trittst«, warnte mich Kürbisköpfchen, obwohl nur sehr wenige Paare vorhanden waren. »Wenn du drauftrittst und eins von den Mädchen das sieht, kriegst du einen solchen Anpfiff, daß deine Ohren Blasen werfen.«
    Das Innere des Schulgebäudes wirkte auf mich so alt und verstaubt wie ein verlassenes Haus. Ganz am Ende des langen Flurs stand eine Gruppe von sechs bis acht Mädchen. Ich zuckte zusammen, als ich sie sah, denn ich dachte, eine von ihnen könnte Satsu sein, doch als sie sich zu uns umdrehten, wurde ich enttäuscht. Sie trugen alle die gleiche Frisur, den wareshinobu einer jungen Lerngeisha, und sahen für mich aus, als wüßten sie sehr viel mehr über Gion, als Kürbisköpfchen und ich je erfahren würden.
    Auf halbem Weg den Flur entlang betraten wir ein geräumiges Klassenzimmer im traditionellen japanischen Stil. An einer Wand hing eine große Hakenleiste mit vielen kleinen Holztäfelchen. Auf jedem Täfelchen stand mit dicken schwarzen Pinselstrichen ein Name. In der Kunst des Lesens und Schreibens war ich vorerst noch wenig bewandert. In Yoroido hatte ich vormittags die Schule besucht, und seit ich in Kyoto war, hatte ich an jedem Nachmittag eine Stunde lang mit Tantchen gelernt, aber

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